FENSTER ZUR FILMWELT: VIELFALT, KUNST UND BEGEGNUNGEN IM KINOK.
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Normal: CHF 17.-
Mitglieder: CHF 12.-
Montagskino: CHF 12.-
Schüler:innen, Lernende, Studierende bis 26 Jahre: CHF 13.-
Kinder bis 12 Jahre: CHF 10.-
IV-Bezüger:innen: CHF 12.-
KulturLegi-Inhaber:innen: CHF 7.-
Mittwochnachmittagskino: CHF 12.- für AHV-Bezüger:innen
Freier Eintritt für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene (Ausweis N/F/S)

«Ich habe in meinem Leben keine grossen Fehler gemacht», sagt Nathalie gleich zu Beginn des Films. Es ist die kämpferische Ansage einer Frau, der das Leben viel abverlangt. Mit unerschöpflicher Energie und Einfallsreichtum schlägt sich die alleinerziehende Mutter zweier Kinder mit verschiedenen prekären Jobs durch. Nathalie ist eine Chrampferin. Sie will sich nicht unterkriegen lassen von einem Haufen Mahnungen und einem Berg Schulden – und sich auch nicht ihre Lebenslust nehmen lassen. Auf keinen Fall will sie von der Sozialhilfe abhängig sein. Ihr Leben gerät weiter in Schieflage, als sie von einer langjährigen Arbeitgeberin überraschend gekündigt und durch einen jüngeren Mann ersetzt wird. Dass vor allem alleinerziehende Frauen mit schlecht bezahlten Teilzeitjobs von Armut betroffen sind und es nicht viel braucht – eine Trennung, Kündigung oder Krankheit –, um in eine finanzielle Notlage zu geraten, ist bekannt. Das Verdienst der Regisseurin ist es, versteckte Armut sichtbar zu machen und ungeschönt vom beeindruckenden Überlebenswillen einer Betroffenen zu erzählen. Tamara Milošević sagt über ihr unter die Haut gehendes Porträt: «Der Film ist eine Einladung hinzuschauen – und umzudenken. Schulden sind oft das Ergebnis eines Systems, das Frauen strukturell benachteiligt. Es geht um Gerechtigkeit, um Sichtbarkeit – und darum, sich zu fragen: Was können wir ändern?»

Seit Generationen ziehen die Gauchos, die argentinischen Cowboys, mit ihren Viehherden durch die weiten Landschaften Patagoniens im dünn besiedelten Süden Argentiniens. Menschen und Tiere leben derart intensiv zusammen, dass sie geradezu miteinander zu verschmelzen scheinen. Der Fotograf und Maler Michael Dweck und Kameramann Gregory Kershaw, die mit ihrem früheren Film «The Truffle Hunters» Furore machten, porträtieren in ihrem bildgewaltigen Werk eine von der Welt vergessene, verschworene Gemeinschaft, die man sofort liebgewinnt: die rebellische junge Guada, die Gaucha werden will, ein alter Cowboy mit Rauschebart, ein Schamane, zwei Jungen, die mit ihren Pferden zu verwachsen scheinen. Was für ein Film! Die Regisseure erzählen die Geschichte einer in der Tradition verwurzelten Subkultur so liebevoll und beglückend, dass man sich diesen Menschen umgehend anschliessen möchte. Die Filmemacher lassen sich viel Zeit und kreieren Bilder und Szenen von vollendeter Schönheit, die vergessen lassen, dass «Gaucho Gaucho» ein Dokumentarfilm ist. Rebecca Nicholson schreibt in The Guardian: «Das ist ein visuell und akustisch erstaunlicher Film – einer, den man sich nicht so sehr anschaut, sondern in den man vielmehr eintaucht. Er ist abstrakt, aber packend, er ist schwarz-weiss, theatralisch und filmisch. Sie werden reich belohnt werden!»

Michelle geniesst ihren Lebensabend in einem malerischen Dorf im Burgund, streift mit ihrer langjährigen Freundin auf Pilzsuche durch den Wald und fährt sie zum Gefängnis, wo deren Sohn einsitzt. Zu ihrer eigenen Tochter Valérie hat sie ein angespanntes Verhältnis. Dafür liebt sie ihren Enkel umso mehr. Als der Kleine die Schulferien bei ihr verbringen soll, kommt es zum Eklat. Michelle, von Valéries ständigen Vorhaltungen aus der Fassung gebracht, serviert ihr Pilze – giftige. Valérie erholt sich rasch, doch Michelle darf ihren Enkel nicht mehr sehen. Einsam und voller Schuldgefühle fällt sie in eine Depression. Bis der Sohn ihrer Freundin aus dem Gefängnis entlassen wird … Die 81-jährige Hélène Vincent und die 75-jährige Josiane Balasko verkörpern in dieser so abgründigen wie raffiniert konstruierten Tragikomödie mit viel Einfühlungsvermögen zwei Frauen im Kampf mit der Last ihrer Vergangenheit. Die umjubelte Weltpremiere feierte der Film 2024 im Wettbewerb von San Sebastián. Elsa Fernández-Santos schreibt in El País: «François Ozons beglückender Film über zweite Chancen und unkonventionelle Familienmodelle ist durchdrungen von leisem schwarzem Humor und einer grossartigen Protagonistin, die leichtfüssig Zärtlichkeit und Düsternis zu verbinden versteht, während sie durch die Wälder des Burgunds streift, als wäre nichts geschehen.»

In einem Überseekoffer wurde der kleine Vincenzo Camizzi von seinen Eltern in die Schweiz geschmuggelt. Mit dreissig Jahren erhielt er die Diagnose «paranoide Schizophrenie». Jahrzehnte später stellt er sich den Fragen seiner Tochter, der Regisseurin Eleonora Camizzi. Diese inszeniert das Gespräch in einem Setting von konzentrierter Kargheit: Vater und Tochter sitzen in einem weissen Raum, durch das Fenster sieht man das Meer. Das dokumentarische Kammerspiel macht die Innenwelt seiner einnehmenden Protagonist:innen auf eine Art sicht- und erfahrbar, die unter die Haut geht. Es zeigt, «von welcher Schönheit der blosse Akt des aufrichtigen und sich eines Urteils vorerst enthaltenden Zuhörens sein kann» (WOZ). Die Jury der Solothurner Filmtage 2025 zeichnete das Werk mit dem Visioni-Preis aus und begründete dies so: «Was diesen Film so besonders macht, ist seine visuelle Sprache. Trotz der stark formalen, minimalistischen und an eine Theaterbühne erinnernden Ästhetik gelingt es ihm, eine beeindruckende Nähe zu seinen Figuren zu schaffen.» Auch Michael Sennhauser, sennhausersfilmblog, ist begeistert: «‹Bilder im Kopf› ist eine Generationengeschichte, ein Stück Schweizer Vergangenheit und Gegenwart um Immigranten, Fremdenfeindlichkeit, Familie. Mit so viel Leichtigkeit so viel Schmerz zu attackieren, das macht diesen Film zum Erlebnis.»

Ein Lachen, das zu laut ist. Ein Streit, der zu spät kommt. Ein Kuss, der nichts mehr rettet. Nach vierzehn Jahren Ehe haben sich der Industrielle Richard und seine Frau Maria auseinandergelebt. Während er sich im Versuch, der schmerzlichen Leere in seiner Beziehung zu entkommen, in die Arme der jungen Prostituierten Jeannie flüchtet, sucht sie Trost in einem Nachtclub und erliegt den Verführungskünsten eines Playboys … Mit schonungsloser Ehrlichkeit nimmt John Cassavetes in seinem dreifach oscarnominierten Drama eine zerrüttete Ehe, moderne Entfremdung und den Kampf der Geschlechter buchstäblich unter die Lupe. Gedreht in grobkörnigem Schwarz-Weiss, oft mit der Handkamera und extrem nah an den Figuren, wirkt «Faces» wie direkt aus dem Leben gegriffen – roh, unmittelbar, unbequem. «Man glaubt, in die Seele der exzellenten Schauspieler schauen zu können», lobt der Filmdienst. Und Robert Lorenz schreibt im Filmkuratorium: «‹Faces› ist, ganz titelgemäss, ein Film der Gesichter – und welches Gesicht könnte für eine solche Close-up-Parade besser geeignet sein als das von Gena Rowlands, mit seiner gewaltigen Ausdrucksstärke?» In der Rolle der Jeannie begegnet sie Richard mit einer Mischung aus Lebenshunger, Verletzlichkeit und kluger Distanz und ist weit mehr als das blosse Gegenüber im nächtlichen Eskapismus eines Mannes in der Midlife-Crisis.

Raynor und Moth Winn machen sich zum South West Coast Path auf, Englands berühmtem Küstenwanderweg. Das Ehepaar in den Mittfünfzigern nimmt den über tausend Kilometer langen Wanderweg in Südwestengland nicht aus Freude am Wandern in Angriff, sondern aus purer Verzweiflung – nach mehreren Schicksalsschlägen stehen sie vor dem Nichts. In einem Gerichtsprozess, der ihre gesamten Ersparnisse verschlungen hat, haben sie ihre Farm verloren, die ihre Existenzgrundlage war. Zudem wurde bei Moth eine unheilbare, degenerative Krankheit diagnostiziert. Mit Rucksack und Zelt begeben sie sich auf die anspruchsvolle Küstenwanderung von Minehead in Somerset bis nach Poole in Dorset. Die beeindruckende und kluge Verfilmung des autobiografischen Bestsellers «The Salt Path» («Der Salzpfad») von Raynor Winn durch Regisseurin Marianne Elliott lebt wie «The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry» von einer anrührenden, tiefgründigen Geschichte, grossartigen Schauspieler:innen und atemraubenden Landschaftsaufnahmen. Courtney Howard schreibt in Variety: «Gillian Anderson und Jason Isaacs’ intime, präzise Darstellungen sind herausragend. Durch die Stimmlage oder die zärtlichen Blicke, die sie austauschen, bringen sie in ihrem zurückhaltenden, nuancierten Spiel den Kampf, die Ängste und schliesslich das Glück ihrer Figuren auf den Punkt.»

Seit seine Frau ihn vor neun Jahren verlassen hat, darf Jérôme nach japanischem Recht keinen Kontakt mehr zu ihrer gemeinsamen Tochter Lily haben. Dennoch ist der Franzose in Tokio geblieben, hat seine Stelle als Chefkoch aufgegeben und fährt Tag für Tag als Taxichauffeur durch die Strassen – in der Hoffnung, Lily zu begegnen. Gerade als er, zermürbt von der jahrelangen erfolglosen Suche, aufgeben und auf Drängen seines alten Vaters nach Frankreich zurückkehren will, steigt ein junges Mädchen in sein Taxi – und Jérôme ist diesmal absolut sicher, dass da seine inzwischen dreizehnjährige Tochter auf der Rückbank sitzt … Nach «Keeper» und «Nos batailles» setzt sich der belgische Regisseur Guillaume Senez in seinem bewegenden Drama erneut mit dem Thema Vatersein auseinander. Getragen von einem brillanten Romain Duris und ohne in Sentimentalität zu verfallen, erzählt er in «Une part manquante» von einem verzweifelten Vater, der sich auch in einer fremden Kultur mit einem umstrittenen Sorgerecht nicht davon abbringen lässt, mit seiner Tochter in Kontakt zu treten. Naser Nahandian schreibt auf Gazettely: «Dies ist nicht nur eine weitere Geschichte über einen Sorgerechtsstreit; es ist eine tiefgründige Reflexion über elterliche Liebe, staatliche Barrieren und die unsichtbaren Fäden, die Menschen über Grenzen und Gesetze hinweg verbinden.»

Adi ist siebzehn und verbringt seinen letzten Sommer in der Heimat, einem kleinen Dorf im rumänischen Teil des Donaudeltas. Im Herbst wird er für das Studium nach Bukarest ziehen. Als er eines Nachts Opfer eines brutalen, homophoben Überfalls wird, verändert sich seine Lebenssituation grundlegend. Seine Eltern, die bisher nichts von seiner Homosexualität wussten, nehmen Adi das Handy ab, sperren ihn in sein Zimmer ein und wollen ihm mit Hilfe des Dorfpriesters die «Sünde» austreiben. Das Gewaltverbrechen wird derweil mit tatkräftiger Unterstützung der lokalen Polizei vertuscht. Um sich zu retten, muss Adi eine schwierige Entscheidung treffen – und sich auf die Hilfe seiner besten Freundin verlassen. Mit seiner minimalistischen, packenden Erzählweise bewegt sich der Regisseur und Drehbuchautor Emanuel Pârvu in der Tradition von Filmemacher:innen wie Cristian Mungiu («R.M.N.»), die in den letzten Jahren das rumänische Kino aufgemischt haben. In seinem intensiven Coming-of-Age-Drama prangert er nicht nur die in Rumänien immer noch weit verbreitete Homophobie, sondern auch staatliche Korruption und religiösen Fanatismus an. Ein messerscharf inszeniertes Drama und ein aufwühlendes Filmerlebnis, das in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichnet wurde.

Die 19-jährige Alyssa und der 23-jährige Mehdi sind seit Kindertagen befreundet. Alyssa steht kurz vor dem Schulabschluss und muss sich um ihre kranke Mutter sowie ihre kleine Schwester kümmern. Mehdi findet trotz Studium keinen Job in der IT-Branche und würde sich ohnehin lieber seiner Leidenschaft, dem Zeichnen, widmen. Da entdeckt Alyssa eine Ausschreibung für einen Zeichenwettbewerb in Djerba, bei dem es einen Atelieraufenthalt in Deutschland zu gewinnen gibt. Sie überzeugt den zurückhaltenden Mehdi, diese Chance zu nutzen, und lässt sich auch von den fehlenden finanziellen Mitteln nicht von einer Reise in den Süden abhalten. Und so startet das Abenteuer ihres gemeinsamen Roadtrips mit der kühnen Beschaffung eines Autos. Nach «Les Filles d’Olfa» von Kaouther Ben Hania und «Under the Fig Trees» von Erige Sehiri macht mit Amel Guellaty eine weitere junge Filmemacherin aus Tunesien mit einem beeindruckenden Film auf sich aufmerksam. Poetisch und charmant erzählt sie von den Träumen und Hoffnungen einer jungen Generation, die sich nicht so schnell entmutigen lässt. «Eine Charakterstudie, ein Porträt des modernen Tunesiens und eine Ode an die Jugend nach dem Arabischen Frühling – alles in einem», schreibt Murtada Elfadl in Variety.

Nach 15 Jahren Beziehung beschliessen die Filmemacherin Ale und der Schauspieler Álex, sich zu trennen. Es gibt keinen Streit, kein böses Blut. Die Luft ist einfach raus. Und so wollen sie, einem alten Rat von Ales Hippie-Vater folgend, ihre Trennung feiern – mit einem richtigen Fest, mit Freund:innen, Musik und einer Trennungstorte. Ihr Umfeld ist konsterniert und hält die Einladung für einen schlechten Scherz. «Ihr seid doch die Legenden der Liebe!» Umso entschlossener ist das Paar, mit einer Abschiedsparty alle vom Ende ihrer Beziehung zu überzeugen. Vor allem sich selbst … Der spanische Regisseur Jonás Trueba hinterfragt in seiner hintersinnigen Umkehrung der klassischen romantischen Komödie gesellschaftliche Normen und zelebriert die Trennung – mit hinreissender Situationskomik, philosophischen Anspielungen und klugen Meta-Momenten, in denen Realität und Fiktion verschmelzen. Ein bezaubernder Screwball-Reigen! Gian-Philip Andreas schreibt im Viennale-Katalog: «Ist sie ein Mythos oder gibt es sie wirklich: die Trennung im Guten? (…) Das aber ist letztlich nicht der Punkt in dieser entspannt selbstironischen Anti-Rom-Com, in der Woody Allen mit Cary Grant durch die Madrider Bohème geistert, Ingmar-Bergman-Tarotkarten den Ton angeben und Ale nebenbei ihren neuen Film schneidet, der sich von dem, den wir sehen, bald kaum noch unterscheidet. Schlau.»

Ein Rave in der marokkanischen Wüste mit dröhnenden Bässen und Tanzenden in Trance, mittendrin Luis mit seinem zwölfjährigen Sohn Esteban. Die beiden sind auf der Suche nach Mar, der Tochter und Schwester, die vor fünf Monaten bei einer dieser tagelangen Technopartys verschwunden ist. Als plötzlich Militärtrupps den Rave auflösen, herrscht Ausnahmezustand; alle Ausländer:innen müssen das Land verlassen. Mit einer kleinen Gruppe ergreifen Luis und Esteban die Flucht und schlagen sich auf halsbrecherischen Wegen über das Atlasgebirge und durch die Wüste zum nächsten Rave nahe Mauretanien durch. Es ist der vierte und bisher radikalste Film des mehrfach ausgezeichneten französisch-spanischen Filmemachers Óliver Laxe, ein intensiver und schonungsloser Roadtrip, der in Cannes mit dem grossen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Mit seinem hypnotischen Soundtrack und den bildgewaltigen Aufnahmen archaischer Landschaften entwickelt er eine rauschhafte Sogwirkung. Im Islam bedeutet «Sirāt» Weg oder Pfad und ist die Brücke, die zum Paradies führt; wer kein Gottesvertrauen hat, stürzt in die Hölle. «Sirāt» ist Kino als existenzielle Grenzerfahrung, eine spirituelle Reise durch Schmerz, Stille und Ekstase. Das Branchenblatt Variety lobt: «Ein irrwitziger Roadtrip durch das Wüstenfegefeuer – verstörend, faszinierend und mit Kultpotential.»

Die fünfzigjährige Philosophieprofessorin Marion Post nimmt eine Auszeit und hat sich in eine New Yorker Stadtwohnung zurückgezogen, um ungestört an ihrem neuen Buch zu arbeiten. Als sie dort durch einen Lüftungsschacht Zeugin einer Therapiesitzung in der Nachbarwohnung wird, ist sie zunächst genervt. Doch bald weckt das Gespräch zwischen der jungen Frau und dem Analytiker ihre Aufmerksamkeit. Marion beginnt, ihr eigenes Leben zu hinterfragen, und plötzlich werden ihr ihre innere Leere, ihre Lebenslügen – wie die Ehe mit einem Mann, den sie nicht liebt, – und verpassten Chancen bewusst. Als Marion Kontakt mit der belauschten Frau aufnimmt, ändert sich ihr Leben von Grund auf. Gena Rowlands ist die ideale Besetzung für diese vielschichtige Rolle. Durch ihre beeindruckende Schauspielkunst und die atmosphärischen Bilder von Bergman-Kameramann Sven Nykvist hallt der Film lange nach. Auch die weiteren Rollen sind mit Ian Holm, Mia Farrow und dem im Februar verstorbenen Gene Hackman hervorragend besetzt. «Vieles an ‹Another Woman› erinnert an die Filme von Ingmar Bergman. Aber davon abgesehen, zeichnet sich der Film vor allem durch die bestechende Kraft seiner Hauptdarstellerin aus. (…) Ein kraftvoller und gleichzeitig ruhiger, besonnener Film, der sicherlich zu den besten Woody Allens gehört», schrieb Ulrich Behrens damals auf Filmzentrale.

Das Mädchen Alma wächst um 1910 auf einem abgelegenen Gutshof in der Altmark auf. Als sie eine Fotografie ihrer früh verstorbenen Schwester entdeckt, ist sie überzeugt, bald dasselbe Schicksal zu erleiden. Jahrzehnte später, am Ende des Zweiten Weltkriegs, lebt die pubertierende Erika auf dem Hof und entwickelt eine erotische Faszination für ihren kriegsversehrten Onkel. In den 1980er-Jahren entdeckt Angelika, die Tochter von Erikas Schwester, ihre Sexualität und macht traumatische Erfahrungen. In der Gegenwart sind die Schwestern Nelly und Lenka mit ihren Berliner Eltern auf den mittlerweile heruntergekommenen Hof gezogen und werden von Träumen heimgesucht, die mit den anderen drei Mädchen in Verbindung stehen. Regisseurin Mascha Schilinski begeisterte mit ihrem epochalen Film beim diesjährigen Festival von Cannes. Das überwältigende Werk, eine Entdeckungsreise durch die feinsten Verzweigungen der Gefühlswelten über vier Generationen, wurde von der Kritik gefeiert und mit dem Jurypreis ausgezeichnet. Katja Nicodemus schreibt in Die Zeit: «Dieser Film ist eine Sensation. Mit seiner assoziativen Montage erzählt er nicht nur von einem Ort, sondern von einer einzigen, aus mehreren Frauen, Mädchen und Erinnerungen bestehenden Person und einer einzigen, aus mehreren Zeitlichkeiten zusammenfliessenden Gegenwart.»

Den Nachkommen einer weitverzweigten Familie wird eröffnet, dass das seit Jahren leerstehende Haus ihrer Urahnin Adèle Meunier in der Normandie abgerissen werden und einem Business-Center weichen soll. So bestimmen sie vier Interessensvertreter:innen für eine Bestandsaufnahme. Kaum haben diese das Haus betreten, werden sie sogleich verzaubert von den vielen Fotografien und Gemälden an den Wänden – und sehen sich plötzlich ins Jahr 1895 zurückkatapultiert, als die 21-jährige Adèle nach Paris reist, um ihre Mutter zu suchen. Mit dem Aufkommen der Fotografie und der Geburt des Impressionismus erlebt sie eine Stadt an der Schwelle zur Moderne. In seinem neuen Spielfilm begibt sich Cédric Klapisch («En corps») auf eine fulminante Zeitreise zwischen den Jahren 2024 und 1895. Seit jeher fasziniert ihn die Epoche des Fin de Siècle mit ihren künstlerischen und technischen Innovationen; er ist überzeugt, dass für die Gestaltung der Zukunft der Blick auf die Vergangenheit unabdingbar ist. Abby Laing schreibt für die International Cinephile Society: «Klapisch ermutigt das Publikum (insbesondere die Generation Z), über ihre eigene Beziehung zu Geschichte und Kunst nachzudenken, ihr Handy wegzulegen und ihre eigene Lebenswelt (wieder) zu entdecken.»

«Einfach machen» war das Credo des Punk, der – von England und den USA ausgehend – die Botschaft von Rebellion und Selbstermächtigung in die Welt schmetterte. Endlich hatten auch Frauen mehr Spielraum in der Musikszene: Die Musikerinnen bestimmten selbst, wie sie klingen und aussehen wollten, technische Virtuosität war irrelevant. Ihre Texte erzählen vom Kampf gegen gesellschaftliche Normen und überholte weibliche Rollenbilder. Regisseur Reto Caduff porträtiert She-Punk-Pionierinnen aus Deutschland und der Schweiz, darunter Östro 430 aus Düsseldorf, Mania D. (später Malaria!) aus Berlin und Kleenex (später LiLiPUT) aus Zürich. Die meisten Musikerinnen treten heute wieder auf – mit einstigen Bandmitgliedern oder in neuer Formation. «Einfach machen» ist ein Film über Punk aus weiblicher Perspektive und das unvergleichliche Lebensgefühl der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre – Feminismus mit Gitarrenriff. Andreas Köhnemann schreibt auf Kino-Zeit: «Der Film wirft einen Blick zurück auf die Eroberung von Freiräumen – und macht zugleich deutlich, dass diese Territorien stets aufs Neue verteidigt werden müssen. Dem Kampf der Wegbereiterinnen ist es zu verdanken, dass heutige Generationen Motivation finden, dies auf ihre Weise fortzuführen.»

Sie war Hauptdarstellerin im ersten deutschen Nachkriegsfilm, glänzte in Hollywood und am Broadway, kehrte in die muffige BRD der 1950er-Jahre zurück und feierte hier Triumphe als Schauspielerin, Chansonsängerin und Bestsellerautorin: die grosse Hildegard Knef (1925–2002). Sechs Jahrzehnte lang war die Frau mit der rauchigen Stimme eine öffentliche Person und liess über die Medien nicht nur an ihren Erfolgen und Misserfolgen, sondern auch an ihrer Krebserkrankung und ihrem späten Facelifting teilhaben: «In meinem Beruf wird Zeitlosigkeit abverlangt – was bei Männern nie verlangt wird.» Auch sonst nahm sie, die mit «Für mich soll’s rote Rosen regnen» einen Hit für die Ewigkeit schuf, nie ein Blatt vor den Mund und wurde damit zum Vorbild für Generationen von Frauen. Aus grösstenteils unbekanntem Archivmaterial und aktuellen Interviews mit Knefs Tochter Christina Palastanga und ihrem letzten Lebensgefährten Paul von Schell hat die in Köln lebende, gebürtige Zugerin Luzia Schmid einen so faszinierenden wie emotional starken Film über eine Frau und Diva geschaffen, der auch als schillerndes Zeitdokument über die alte BRD funktioniert. Christian Schröder schreibt im Tagesspiegel: «Das ist kein geglättetes Porträt. Es zeigt eine Frau voller Widersprüche. Niederknien möchte man trotzdem vor ihr.»

Mabel Longhetti liebt zu viel, fühlt zu stark, lebt zu nah an der Oberfläche ihrer eigenen Haut. Verzweifelt versucht sie, ihrer Rolle als Mutter von drei Kindern, Haus- und Ehefrau gerecht zu werden, und wird von ihrem Umfeld zunehmend als «verrückt» wahrgenommen. Ihr Mann Nick, Bauarbeiter und eigentlich ein hingebungsvoller Familienvater, liebt sie von Herzen, ist aber zunehmend überfordert von ihrem unberechenbaren Verhalten und reagiert mit hilfloser Bevormundung … In John Cassavetes’ tief erschütterndem Porträt einer Frau, die an den gesellschaftlichen Erwartungen zu zerbrechen droht, verschwimmen Liebe und Wahnsinn, Fürsorge und Kontrolle. Mit grosser emotionaler Wucht und fast schon dokumentarischer Nähe zeichnet er die entgleisende Geschichte eines Paares, das «Normalität» zu erzwingen sucht. Gena Rowlands’ Darstellung der Mabel gilt als Meilenstein des Schauspielkinos – roh, verletzlich, explosiv – und brachte ihr eine erste Oscarnominierung ein. Andreas Busche schreibt im Tagesspiegel: «Ist Mabel eine Gefahr für sich und ihre Umwelt oder schafft sie sich in dem rigiden gesellschaftlichen Konstrukt der Ehe bloss ihre eigene Realität? Zwischenzeitlich landet sie in einer Klinik, aber Rowlands’ Spiel unterläuft klassische pathologische Kriterien; in einer besseren Welt wäre sie vielleicht eine freie und radikal unabhängige Frau.»

Als Aagje und Toon ihren Sohn in der psychiatrischen Klinik besuchen, sind sie mit dem Unfassbaren konfrontiert. Rick sitzt am Tisch und notiert, wie er sich seine Beerdigung wünscht: Ein lichtes Fest soll es werden, die Gäste weiss gekleidet und fröhlich, weil sein Leben so dunkel war. Seit über zwanzig Jahren leidet er unter unerträglichen psychischen Qualen; er hat eine Vielzahl von Diagnosen und Therapien erhalten – ohne Erfolg. Des Kämpfens müde, hat Rick einen assistierten Selbstmord beantragt und wartet auf den Bescheid, während die Eltern damit ringen, sich für immer von ihrem Sohn verabschieden zu müssen – hin- und hergerissen zwischen der Angst vor dem Unabänderlichen und der Hoffnung auf einen Ausweg. Die niederländische Regisseurin Laura Hermanides wurde von einem realen Fall zu ihrem beeindruckenden Spielfilm inspiriert. Entstanden ist ein einfühlsamer, herzzerreissender Film, der heikle Fragen zur Sprache bringt und von grossartigen Darsteller:innen getragen wird, allen voran Renée Soutendijk als Mutter Aagje. Die an der Universität St.Gallen beheimatete Forschungsgruppe Assisted Lab schreibt: «Durch die eindringliche Darstellung von Ricks Leiden vermittelt der Film Verständnis für Sterbehilfe bei psychischen Erkrankungen, ohne dabei die moralischen Dilemmata für Ärzte und Gesellschaft ausser Acht zu lassen.»

Die 24-jährige, ehrgeizige und attraktive Nevenka Fernández hat kaum ihr Studium beendet, als sie in den Stadtrat ihrer Heimatgemeinde Ponferrado in Nordspanien gewählt wird. Der erste Meilenstein einer steilen Karriere scheint damit gesetzt. Doch dann setzt der Bürgermeister Ismael Álvarez – ein Mann, der politisch wie privat seinen Willen immer durchzusetzen weiss, – sie mit eindeutigen Avancen unter Druck. Was als vermeintlicher Flirt beginnt, endet in sexuellem Missbrauch und Mobbing. Nevenka beschliesst, ihren Vorgesetzten anzuklagen, auch wenn sie weiss, dass es ein ungleicher Kampf werden wird. Sie wird von niemandem unterstützt, die Gemeinde stellt sich gegen sie und der Prozess wird als Medienspektakel auf ihrem Rücken ausgetragen. Der neue, mit Spannung erwartete Film von Icíar Bollaín («La boda de Rosa») schildert den wahren Fall der Ökonomin Nevenka Fernández, der 2003 zur Verurteilung von Álvarez führte – ein absolutes Novum in einem Land, das stark vom Machismo geprägt ist. Fernández wurde zur Pionierin der spanischen #MeToo-Bewegung. «Mobbing passiert, weil andere nichts sagen», sagt Icíar Bollaín. «In ‹Soy Nevenka› ist ‹das ganze Milieu› Teil der sexuellen Belästigung, es kommt also eine weitere Komponente dazu. Denn obwohl Nevenka den Rechtsstreit gewonnen hat, stand sie am Ende völlig allein da.»

Die erfolgreiche Dirigentin Julia und ihr Mann Georg wünschen sich sehnlichst ein Kind. Da Julia auf natürlichem Weg nicht schwanger wird, unterzieht sie sich einer neuartigen Therapie in der Privatklinik eines renommierten Fruchtbarkeitsspezialisten. Die Therapie hat Erfolg, und Julia bringt ein Baby zur Welt. Doch die Geburt ist mit Komplikationen verbunden, weshalb das Neugeborene sofort nach der Entbindung in die Neonatologie gebracht wird, ohne dass Julia die genaueren Gründe erfährt. Kurz darauf bekommt sie ihr Baby zurück, doch nun empfindet sie eine seltsame Distanz zu ihrem Kind und beginnt an dessen Identität zu zweifeln … Mit feinen Anklängen an Horrorfilme, allen voran Roman Polanskis «Rosemary’s Baby», entfesselt die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin Johanna Moder ein düsteres Mysterienspiel, das es in sich hat und in dem Marie Leuenberger als verunsicherte Mutter mit einer Performance von brennender Intensität brilliert. Alexandra Seibel schreibt im Kurier: «Aus dem herzigen Baby wird unter dem prüfenden Blick der Mutter ein seltsames Neugeborenes mit Alien-artigen Zügen. Gekonnt verschmilzt Johanna Moders Thriller gesellschaftliche Zuschreibungen von Mutterglück und Mutterliebe zu einem schwelenden Mystery-Drama, bei dessen sinistrer Auflösung letztlich alle auf ihre Kosten kommen.»

An der südafrikanischen Elite-Universität Stellenbosch beginnt ein neues Studienjahr. In den Wohnheimen werden die Neuankömmlinge aus allen Gesellschaftsschichten und Kulturen Südafrikas von Studierenden im zweiten Jahr empfangen. Das Männerwohnheim «Eendrag» ist noch stark von den kolonialen Traditionen einer weissen Gemeinschaft geprägt, obwohl sich sowohl die Universität als auch die selbstverwalteten Wohnheime bemühen, inklusiver zu werden. Welche Widerstände und langwierigen Prozesse damit verbunden sind, hat Filmemacherin Fabienne Steiner ein Jahr lang im «Eendrag» beobachtet. Das Wohnheim erweist sich dabei als Mikrokosmos, der die südafrikanische Gesellschaft widerspiegelt. «Fitting in» entwickelte sich aus einer interdisziplinären Zusammenarbeit der in Südafrika geborenen St.Galler Filmemacherin und dem Forschungsprojekt «Becoming a Minority» der Soziologen Florian Elliker und Niklaus Reichle von der Universität St.Gallen. Fabienne Steiner sagt: «Auch wenn der Film vordergründig eine südafrikanische Geschichte erzählt, zielt er auf ein globales Thema ab. Mit meinem Film möchte ich Leute motivieren, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um sinnvolle Lösungen für die Zukunft zu finden.»

Die brillante Juniorprofessorin Agnes unterrichtet englische Literatur an der Universität in Massachusetts, wo sie einst selbst studiert hat. Sie lebt zurückgezogen auf dem Land und tut sich schwer mit neuen Liebschaften, da sie unter den traumatischen Folgen eines Übergriffs ihres früheren akademischen Mentors leidet. Einzig von ihrer in New York lebenden, besten Freundin Lydie fühlt sie sich verstanden. In fünf Kapitel gegliedert, erzählt der Film drei Jahre aus dem Leben einer Frau, die sich trotz des furchtbaren Missbrauchs nicht unterkriegen lässt. Anlässlich seiner Weltpremiere am diesjährigen Sundance Film Festival wurde die Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin Eva Victor als neues Nachwuchstalent gefeiert. Erfrischend ehrlich und schonungslos, doch zugleich einfühlsam und leichtfüssig findet sie einen Weg, eine traumatische Geschichte ganz neu zu erzählen. Kate Erbland ist auf IndieWire über «das düster-komische und enorm zärtliche Drama» des Lobes voll: «Agnes ist etwas Schlimmes passiert. Aber das Leben geht weiter – ein grosses, wunderbares, lustiges, schreckliches, seltsames, trauriges, grossartiges Leben. Was für ein Glück, dass Eva Victor hier ist, um genau das zu dokumentieren.» Ihr ist ein tiefgründiger, bewegender und auch sehr humorvoller Film über Heilung, Freundschaft und Selbstfindung geglückt.

Als Italien im Sommer 2022 unter der Dürre leidet, scheint auch die Quelle beim Haus von Paolo Cognetti im auf 1700 Metern gelegenen Dörfchen Estoul im Aostatal zu versiegen. Dieses untrügliche Zeichen des Klimawandels veranlasst den 47-jährigen italienischen Bestsellerautor («Le otto montagne») und erfahrenen Alpinisten zu einer ausgedehnten Bergtour in sein geliebtes Monte-Rosa-Massiv. In Begleitung seines treuen Border Collies Laki folgt er den Spuren des Wassers, weit hinauf zu einsamen Bergseen, schmelzenden Gletschern und hochgelegenen Schutzhütten. In seinem Regiedebüt «Fiore mio» kehrt Cognetti in die Bergwelt seiner Kindheit zurück, die auch Schauplatz der erfolgreichen Verfilmung seines Romans war, und zeigt eine alpine Landschaft im Wandel. Der Film lädt zum Beobachten und Innehalten ein und erzählt in atemraubenden Bildern von eindrücklichen Begegnungen mit Menschen und Tieren. Paolo Mereghetti schreibt im Corriere della sera: «‹Fiore mio› ist ein Dokumentarfilm, der von den Bergen erzählt, aber auch eine Art öffentliches Tagebuch, das Ökologie, existenzielle Überlegungen und anthropologische Untersuchungen miteinander verbindet.» Das Fazit der kanadischen Forstwissenschaftlerin Suzanne Simard lautet: «Dieser Film handelt nicht davon, wie wir den Berg retten können, sondern davon, wie der Berg uns retten könnte.»

Der junge Jockey Remo Manfredini gilt als Rockstar des Pferderennsports und hat schon eine steile Karriere hinter sich. Doch mittlerweile ist ihm die Freude am Reitsport vergangen. Er verliert sich in Drogenexzessen, hat Schulden bei der Mafia und auch die Beziehung zu seiner schwangeren Freundin Abril ist gefährdet. Als Gangsterboss Rubén Sirena das sündhaft teure Rennpferd «Mishima» aus Japan importiert, soll Remo es reiten und damit sein Comeback einläuten. Doch das Rennen endet im Desaster. Als Remo im Spital orientierungslos aus dem Koma erwacht, schnappt er sich den Pelzmantel seiner Bettnachbarin und irrt mit einem riesigen Kopfverband durch die Strassen von Buenos Aires. Befreit von seiner Identität, beginnt er zu entdecken, wer er wirklich sein will … Mit schräger Situationskomik, lakonischen Dialogen und einer farbtrunkenen Bildsprache erinnert «El jockey» an das Kino von Wes Anderson oder Aki Kaurismäki. Auf einzigartige Weise verbindet der Argentinier Luis Ortega absurde Krimikomödie mit tänzelnder Liebesgeschichte und genderfluider Identitätssuche. Roman Scheiber schwärmt im Katalog der Viennale: «‹El jockey› entzieht sich jeglicher Einordnung – und doch kommt am Ende ein überwältigendes Ganzes dabei heraus. Da kann man nur gratulieren!»

Campione am östlichen Ufer des Luganersees ist eine italienische Enklave im Tessin. Aufgrund dieser besonderen Lage wurde hier 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, eine Spielbank eröffnet. Man hoffte, dass Diplomat:innen aus aller Welt in entspannter Atmosphäre militärische Geheimnisse ausplaudern würden. Das Casino florierte rasch, bald war es der wichtigste Arbeitgeber in Campione. Das Geschäft mit dem Glücksspiel war so lukrativ, dass man in den 1990er-Jahren den Tessiner Stararchitekten Mario Botta mit einem monumentalen Neubau beauftragte. Das gigantomanische Gebäude namens «Die Stimmgabel» wurde 2006 eröffnet – als grösstes Casino Europas mit fast 700 Angestellten. Doch nach nur zwölf Jahren, im Juli 2018, war Schluss. Das Casino hatte Schulden in Höhe von 157 Millionen Euro angehäuft, alle Angestellten verloren ihre Arbeit. 2022 wurde es in stark reduzierter Form wiedereröffnet. Der Tessiner Regisseur Michele Cirigliano («Padrone e sotto») und sein junger deutscher Kollege Anton von Bredow zeichnen in ihrem schillernden Porträt diese Geschichte nach. Mit Hilfe von acht Protagonist:innen, darunter einem ehemaligen Croupier, einem Restaurantbetreiber, einem Priester und einer Bereichsleiterin, zeigen sie, wie sich ein Dorf am Rande des Abgrunds wieder aufzurappeln versucht.

Ein kleiner, weisser Vogel schlüpft aus dem Ei und fragt: «Was ist denn jetzt los?» – «Jetzt bist du geboren», sagt die Eulenmutter. «Und wo war ich vorher?» – «In einem Ei», antwortet sie. «Und davor?», fragt das Junge weiter. «In einem Vogel.» Der Animationsfilm «Hallo, grosse Welt!» beginnt mit der Geburt mehrerer Tiere, die ihren Platz in einer ihnen noch fremden Welt suchen und sich fragen, woher sie kommen und wer sie sind. Während eines Jahres folgt der liebevolle und witzige Animationsfilm dem Leben der Tiere in Wäldern und Biotopen, auf Wiesen und Feldern. In den grossartigen, farbtrunkenen Bildern verbinden sich Fotografie, Malerei und Animation zu einem visuellen Fest. Im Zentrum stehen die von Co-Regisseurin Anne-Lise Koehler aus Pappmaché geschaffenen, filigranen Tierskulpturen, die im aufwendigen Stop-Motion-Verfahren zum Leben erweckt werden. Die französische Naturzeitschrift La Hulotte schwärmt: «Selten hat ein Animationsfilm in jeder Sequenz ein solch ästhetisches Vergnügen bereitet. In der naturalistischen Beschreibung eines Ökosystems mit nicht weniger als 76 Tier- sowie 43 Pflanzen- und Pilzarten, die alle in Pappmaché dargestellt werden, verbindet der Animationsfilm die Schönheit von Skulpturen und fotografischen Aufnahmen mit einem ästhetischen Gespür, das an die berühmten Seerosen von Claude Monet erinnert.»

Weil sie in eine kleinere Wohnung ziehen will, bringt die 80-jährige Besitzerin ein José de Ribera zugeschriebenes Gemälde, das über Jahrzehnte im Esszimmer ihrer Familie hing, in ein Madrider Auktionshaus. Es trägt den Titel «Ecce homo», ein bekanntes Motiv der bildenden Kunst, das den gefolterten Christus zwischen Pontius Pilatus und einem Soldaten zeigt. Das Gemälde wird für 1500 Euro online ausgeschrieben – worauf sich die Ereignisse überstürzen. Fachleute werden darauf aufmerksam und äussern die Vermutung, es könnte sich um ein verschollenes Werk von Caravaggio handeln – eine Sensation! Caravaggio (1571–1610) gilt als genialer Erneuerer der Malerei und ist durch sein abenteuerliches, kurzes Leben zu einer Art «Rockstar» der Kunstgeschichte geworden. Nur sechzig Gemälde sind von ihm erhalten, entsprechend hoch werden sie gehandelt. Die Entdeckung eines solchen «Sleepers» – ein Kunstwerk, dessen Bedeutung nicht erkannt wurde, – ist der Traum eines jeden Kunsthändlers. Drei Jahre lang hat Regisseur Álvaro Longoria den Madrider Kunsthändler Jorge Coll begleitet und die einzelnen Stationen aufgezeichnet: von der spektakulären Wiederentdeckung über die neuen Expertisen und die heikle Restaurierung bis zum Verkauf. Entstanden ist ein atemraubender Doku-Thriller, der Einblicke in die Komplexität und die Geheimnisse des Kunsthandels gibt.

Cowboy Jack Burns lebt ohne festen Wohnsitz, ohne Ausweis oder festen Job. Als er hört, dass sein Freund Paul im Gefängnis sitzt, fasst er einen verwegenen Plan. Er zettelt eine Schlägerei an und lässt sich in dieselbe Haftanstalt einliefern, in der sein Freund einsitzt. Doch dieser will nicht mit ihm fliehen. Also bricht Burns alleine aus und macht sich auf zur mexikanischen Grenze – auf seinen Fersen Sheriff Johnson … Der meisterhafte Neo-Western, ein Abgesang auf ein mythisches Amerika, beeindruckt allein schon durch seine hochkarätige Crew: Es war Gena Rowlands’ erste grössere Rolle, Kirk Douglas’ erklärter Lieblingsfilm und eine seiner besten Interpretationen, grossartig auch Walter Matthau. Das Drehbuch stammt vom legendären Hollywood-Autor Dalton Trumbo, die Filmmusik verhalf dem Komponisten Jerry Goldsmith zum Durchbruch. Alex Cox schreibt auf Film Comment: «‹Lonely Are the Brave› ist etwas Seltenes und fast Einzigartiges: ein linker amerikanischer Western. (…) Sein Held, makellos dargestellt von Kirk Douglas, ist ein Cowboy-Anarchist, der keinen Ausweis bei sich trägt, keine Autorität respektiert und sich nur um seine Freunde und sein Pferd kümmert. (…) ‹Lonely Are the Brave› wurde 1962 veröffentlicht und wirkt dennoch völlig modern – wahrscheinlich, weil er so viele Themen behandelt, die auch heute noch von Bedeutung sind.»

Robert Harmon ist ein erfolgreicher Schriftsteller, ein charismatischer Playboy und hedonistischer Bohemien, der sich aus Angst vor Verantwortung in Alkohol und oberflächliche Frauengeschichten flüchtet. Seine labile Schwester Sarah lebt gerade in Scheidung von ihrem Mann Jack, der ihre Neurosen und Gefühlsausbrüche nicht mehr ertragen konnte, und hat das Sorgerecht für ihre einzige Tochter verloren. Als sie auf der Suche nach Halt vorübergehend bei Robert einzieht, gerät dessen dekadenter Lebensentwurf gründlich durcheinander. In ihrer letzten Zusammenarbeit treffen Gena Rowlands und John Cassavetes – erstmals Seite an Seite in den Hauptrollen – als zwei beschädigte Seelen aufeinander: ein Bruder, der nicht weiss, wie man liebt; eine Schwester, die nicht aufhören kann zu lieben. Mit melancholischer Zärtlichkeit und radikal emotional erzählt «Love Streams» von der Einsamkeit im Miteinander, von der Angst vor Nähe und dem verzweifelten Wunsch danach. «Ein intensives, darstellerisch hervorragendes und tiefgründiges Psychogramm zweier Menschen, die den Sinn des Lebens suchen. In seiner verstörenden und bestürzenden Inszenierung gelingt Cassavetes ein bewegendes Porträt der Rollen von Liebe, Zuneigung, Verständnis und Zärtlichkeit in einer Zeit der Kommunikationsunfähigkeit», urteilt das Lexikon des Internationalen Films.

Die Uhrenmetropole Biel galt in den 1960er-Jahren als «Zukunftsstadt» der Schweiz. Aus dieser Zeit der Wachstums- und Planungseuphorie stammen zwei Bieler Wahrzeichen: das 1966 eröffnete Kongresshaus mit angrenzendem Verwaltungshochhaus und das seit 1968 bestehende autonome Jugendzentrum (AJZ) in der Kuppel des ehemaligen Gaskessels. Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Bauwerken befinden sich die 5082 Quadratmeter Asphalte public, die der Titel des Dokumentarfilms anspricht: die «Esplanade». Es sind zwei Welten, die des Palais des Congrès und die der Coupole, die hier aufeinandertreffen. Bis vor wenigen Jahren war der Platz noch vom vielen Grün einer faszinierenden Wildnis umrandet, doch jetzt ragt eine riesige Überbauung mit gesichtslosen Wohnblöcken in den Himmel. Die Stadt habe dringend gute Steuerzahler:innen gebraucht, rechtfertigt die ehemalige Finanzdirektorin von Biel den Verkauf des einst städtischen Grundstücks an eine auswärtige Investor:innengruppe. Es ist einer von vielen erhellenden Momenten in dieser zwischen 2020 und 2024 gedrehten Langzeitstudie, in der der aus St.Gallen stammende Regisseur Jan Buchholz («Auf- und Abbruch in St.Güllen») Architektur, Stadtentwicklung, Sozialgeschichte und Musik unterschiedlichster Stilrichtungen zu einem vergnüglichen Trip in einen kaum bekannten Mikrokosmos verbindet.

Als Alex und seine Partnerin Cécile wegen einsetzender Wehen überhastet ins Krankenhaus aufbrechen müssen, springt ihre Nachbarin Sandra für die Betreuung des sechsjährigen Elliott ein. Das Unfassbare geschieht: Bei der Geburt kommt es zu Komplikationen, die Mutter stirbt, und Alex steht allein mit zwei Kindern da. Sandra, die unkonventionelle Mittfünfzigerin, die es sich in ihrem Singledasein gut eingerichtet hat und mit Verve einen feministischen Buchladen betreibt, findet sich unverhofft in einer Rolle wieder, die sie nie gesucht hat: Sie wird nicht nur für den frühreifen Elliott zu einer wichtigen Bezugsperson, sondern auch für seinen Vater und die kleine Lucille … Carine Tardieu erforscht in ihren tiefgründigen, mit leiser Ironie grundierten, dramatischen Komödien existenzielle Gefühle wie unmögliche Liebesbeziehungen, Trauer und Verlust. Ihr neuestes Werk lockte in Frankreich in den ersten vier Wochen über 700’000 Zuschauer:innen ins Kino und wurde zu einem grossen Publikumserfolg. Dies ist nicht zuletzt Valeria Bruni Tedeschi zu verdanken, die in einer ihrer schönsten Rollen zu sehen ist. Nuanciert und mit grosser Zärtlichkeit spielt sie eine Frau, die erfahren muss, wie aus vorübergehender Hilfe unerwartet tiefe Bindung entsteht und die wachsende Intensität der Bindungen kein Zurück zulässt.

Der charmante Duke lebt in einem Seniorenheim und hat es sich zur Aufgabe gemacht, einer an Alzheimer erkrankten Mitbewohnerin Tag für Tag aus einem Notizbuch vorzulesen, um ihr die Zeit zu versüssen. Darin geschrieben steht die unmögliche Liebesgeschichte von Allie und Noah, die sich vor einem halben Jahrhundert kennenlernten. Im Sommer 1940 verbringt die 17-jährige Tochter aus bestem Hause die Ferien mit ihrer Familie in South Carolina und verliebt sich unsterblich in Noah, einen einfachen Jungen vom Land. Doch als ihre Eltern von der unstandesgemässen Beziehung erfahren, reist die Familie überstürzt ab. Die 365 Briefe, die Noah ein Jahr lang seiner Liebsten schreibt, bleiben unbeantwortet. Erst Jahre später und frisch verlobt wird Allie durch einen Zeitungsartikel wieder an ihn erinnert … Unter der Regie ihres Sohnes Nick Cassavetes brilliert Gena Rowlands als demente alte Dame in der behutsamen Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Nicholas Sparks. Patrick Reinbott schreibt auf moviebreak: «Zum herzzerreissenden Abschluss findet Cassavetes’ Film durch James Garner und Gena Rowlands, die der Geschichte von Noah und Allie eine Vollendung verleihen, bei der die Liebe tatsächlich stärker wiegt als sämtliche nachvollziehbare Konventionen. (…) Mit ‹The Notebook› hat er einen der schönsten Liebesfilme der jüngeren Kinogeschichte geschaffen.»

Gloria ist wenig begeistert, als ihre puerto-ricanischen Nachbar:innen sie verzweifelt bitten, ihren sechsjährigen Sohn Phil kurzfristig aufzunehmen. Die Ex-Geliebte eines Mafiabosses lebt zurückgezogen und zufrieden mit ihrer Katze – und sie mag keine Kinder, «especially not yours». Doch als die Familie kurz darauf brutal ermordet wird, hat Gloria den kleinen Möchtegern-Macho am Hals und weiss, dass das Syndikat hinter ihnen her ist. Phils Vater war Buchhalter der Mafia und hat dem Jungen in letzter Minute ein brisantes Notizbuch anvertraut. Eine atemlose Flucht durch New York beginnt. In seinem populärsten Film kehrt John Cassavetes die Konventionen des Gangsterfilms ironisierend um und schafft ein berührendes Psychodrama über Annäherung, Verantwortung und unerwartete Zärtlichkeit. Dafür gab es in Venedig den Goldenen Löwen und für Gena Rowlands die zweite Oscarnominierung. Taff, müde und mit unerwarteter Entschlossenheit spielt sie die widerwillige Beschützerin, die ungeahnte Gefühle entwickelt. «Gloria» lebt von der Chemie zwischen ihr und dem jungen Laiendarsteller John Adames. «Diese Beziehung mag Cassavetes auch mit dem Schluss nicht zerbrechen und führt vor, dass sich rauer Realismus und märchenhafte Magie nicht ausschliessen. Man hätte das Ende noch besser machen können, meinte er später. Wie, kann sich niemand vorstellen.» (Johannes Binotto)

Während der Proben zu ihrem neuen Stück stürzt der umschwärmte Broadway-Star Myrtle Gordon in eine existenzielle Krise. Sie soll eine alternde, kinderlose Frau spielen, die den verpassten Chancen ihres Lebens nachjagt und daran zu zerbrechen droht. Selbst nicht mehr die Jüngste, wehrt sich Myrtle mit Händen und Füssen dagegen, sich mit der Rolle zu identifizieren. Als sie Zeugin eines Unfalls wird, bei dem eine jugendliche Verehrerin ums Leben kommt – ein Mädchen, das sie schmerzhaft an ihr eigenes 17-jähriges Ich erinnert –, wirft sie das vollends aus der Bahn. Die grosse Premiere in New York droht zum Debakel zu werden … Zwischen Wahn und Wahrheit, Revolte und Auflösung verleiht Gena Rowlands, die hier nach eigenem Bekunden ihre Lieblingsfigur spielt, der strauchelnden Diva eine rauschhafte, fast tranceartige Intensität. Dafür wurde sie auf der Berlinale, die 1978 mit «Opening Night» eröffnet wurde, mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Maya McKechneay schreibt für das Stadtkino Wien: «In ‹Opening Night› macht Cassavetes jene Grenze zum Thema, die seine Filme zu verwischen suchen: die Grenze zwischen Schauspieler-Körper und Rollen-Körper, zwischen Darsteller und Dargestelltem. Wessen Tränen sind es, die während des Stücks im Stück fliessen? Die der Bühnenfigur? Die der Schauspielerin Myrtle? Oder die Tränen von Gena Rowlands?»