FENSTER ZUR FILMWELT: VIELFALT, KUNST UND BEGEGNUNGEN IM KINOK.

Das Kinok in St.Gallen ist das grösste Programmkino der Ostschweiz. Mit jährlich über 280 Filmen und 1000 Aufführungen fördert es Filmkunst, Vielfalt und Austausch. Neuheiten und Klassiker, Filmpremieren, Stummfilme mit Live-Musik und Retrospektiven machen das Kinok zu einem Ort lebendiger Filmkultur – ein Kino für besonderes Filmvergnügen.

Öffnungszeiten

Die Kasse ist 45 Minuten vor der ersten Vorstellung und während den Vorführungen besetzt.

Tickets und Reservation

071 245 80 72
Online reservieren

Normal: CHF 17.-
Mitglieder: CHF 12.-
Montagskino: CHF 12.-
Schüler:innen, Lernende, Studierende bis 26 Jahre: CHF 13.-
Kinder bis 12 Jahre: CHF 10.-
IV-Bezüger:innen: CHF 12.-
KulturLegi-Inhaber:innen: CHF 7.-
Mittwochnachmittagskino: CHF 12.- für AHV-Bezüger:innen
Freier Eintritt für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene (Ausweis N/F/S)
Programm
Jay Kelly
Als ihn die Nachricht vom Tod eines Freundes erreicht, stürzt Hollywoodstar Jay Kelly in eine Sinnkrise. Mit seinem Manager Ron und seiner gesamten Entourage im Schlepptau begibt er sich auf einen turbulenten Roadtrip durch Europa. Noah Baumbachs starbesetzte Komödie ist eine köstliche Hollywood-Nabelschau mit George Clooney, Adam Sandler und Laura Dern.

Hollywoodstar Jay Kelly steckt in einer Lebenskrise. Sein Job erfüllt ihn nicht mehr, die Beziehung zu seinen Töchtern ist zerrüttet. Als auch noch sein alter Freund und Mentor stirbt, der ihm einst zum Durchbruch verhalf, lässt er alles stehen und liegen. Mit seinem Manager Ron und seiner gesamten Entourage macht er sich auf den Weg in die Toskana, wo ihm ein Preis für sein Lebenswerk verliehen werden soll. Doch aus dem Ausflug wird schnell ein turbulenter Roadtrip quer durch Europa, bei dem ihn die Geister der Vergangenheit einholen und er sich mit alten Entscheidungen und seinem eigenen Vermächtnis auseinandersetzen muss. Mit einem starbesetzten Ensemble rund um George Clooney und Adam Sandler gelingt Noah Baumbach eine höchst amüsante Hollywood-Nabelschau. Thomas Schultze schwärmt in Blickpunkt:Film: «Eine kluge, hintergründige Darstellung Clooneys ist der Anker dieses Films, (…) ein mutiger Auftritt, weil die Selbstverliebtheit und Lebensleere seiner Figur nicht ironisch abgefedert wird – Clooney zieht hier blank. (…) ‹Jay Kelly› ist ein Confessional, eine Lebensbeichte, ein wehmütiger Blick auf die Dinge, die man erreicht hat, die man in den Sand gesetzt hat, auf den Preis, den man für die Ambition zahlen musste, ein Star zu werden; aber auch eine Komödie mit geschliffenen Dialogen und bitterbösen Aperçus über die Filmindustrie.»

 

L’Énigme Velázquez
400 Jahre lebendige Kunstgeschichte: Diego Velázquez schuf Gemälde von hypnotischer Tiefe und wurde von Malern wie Édouard Manet und Salvador Dalí verehrt. Der Dokumentarfilm spürt dem spanischen Hofmaler nach, dessen Œuvre bis heute Rätsel aufgibt und in unzähligen Werken weltberühmter Künstler seinen Widerhall gefunden hat.

Édouard Manet verehrte ihn als «Maler der Maler», für Salvador Dalí war er – neben ihm selbst – der bedeutendste Maler Spaniens. Pablo Picasso war geradezu besessen von seinem Meisterwerk «Las Meninas» und widmete ihm eine 40-teilige Bildserie. Verstörend sind Francis Bacons zerrbildhafte Variationen von Velázquez’ Porträt von Papst Innozenz X. Wer war dieser grosse Meister des Barock, der Generationen von Künstler:innen bis heute inspiriert? Viele Aspekte im Leben und Schaffen von Diego Velázquez (1599–1660) liegen im Dunkeln. Als Hofmaler und Vertrauter des spanischen Königs Philipp IV. schuf er mit «Las Meninas» eines der einflussreichsten Gemälde aller Zeiten. Seine Porträts bestechen durch ihr psychologisches Gespür und ihren Humanismus, seien es Adlige oder Leute aus dem Volk. Mit seiner feinen Beobachtung von Licht und Schatten und seinem freien Pinselstrich nahm er den Impressionismus vorweg. Anne Randon schreibt im Benzine Magazine: «Anhand von Velázquez erzählt der Film einen ganzen Abschnitt der Kunstgeschichte und zeigt die aussergewöhnliche Modernität dieses Künstlers, der von Spiegeln fasziniert war und als Erster so scharfsinnig die Macht des Blicks und die Zweideutigkeit der Rolle des Malers und des Betrachters in der Darstellung hinterfragte.»

 

Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse
Michael Hartung, Besitzer einer Videothek in Berlin, steht kurz vor der Pleite, als ein ehrgeiziger Journalist ihn kurzerhand zum gesamtdeutschen Helden erklärt. Michael soll vor 35 Jahren eine spektakuläre Massenflucht aus der DDR organisiert haben … Charly Hübner brilliert in Wolfgang Beckers («Good Bye, Lenin!») letztem Film nach dem Bestseller von Maxim Leo.

Michael Hartung betreibt in Berlin eine serbelnde Videothek. Eines Tages steht ein Journalist im Laden, der eine Reportage zum 30. Jahrestag des Mauerfalls realisieren will. In Stasi-Akten ist der Mann auf den Namen von Hartung gestossen, der 1984 die grösste Massenflucht aus der DDR organisiert und dafür viele Jahre im Stasi-Knast verbüsst haben soll. Nach anfänglichem Zögern spielt Hartung, der tatsächlich nur zwei Tage im Knast war, das Spiel mit … Basierend auf dem gleichnamigen, 2022 erschienenen Bestseller von Maxim Leo hat Wolfgang Becker – zehn Jahre nach der Hochstaplergeschichte «Ich und Kaminski» und 21 Jahre nach dem Jahrhundertfilm «Good Bye, Lenin!» – ein All-Star-Ensemble um Charly Hübner als Michael Hartung versammelt und diese deutsch-deutsche Komödie um Deutungshoheit realisiert. Sie wurde sein Vermächtnis – er starb kurz nach Ende der Dreharbeiten im Dezember 2024. Produzent Stefan Arndt sagt über den Film: «Wolfgang hat in seinen Filmen niemals nur eine Geschichte erzählt. Natürlich geht es hier um die Legende dieser Massenflucht und darum, wie Medien mit ihren Helden umgehen. Aber ebenso um die Schwierigkeit, als Erwachsener heutzutage die Liebe zu finden und damit umzugehen. Tatsächlich hatten Wolfgang und ich uns geschworen, einmal zusammen einen Liebesfilm zu drehen – einen erwachsenen Liebesfilm.»

 

Eddington
Im Sommer 2020 entbrennt in der Kleinstadt Eddington in New Mexico zwischen dem maskenverweigernden Sheriff Joe Cross und Bürgermeister Ted Garcia ein erbitterter Machtkampf, der die Gemeinschaft an den Rand des Zusammenbruchs treibt. Joaquin Phoenix, Pedro Pascal und Emma Stone brillieren in Ari Asters irrwitzigem Corona-Western.

2020 wütet im Städtchen Eddington, New Mexico, die Pandemie. Die Maskenpflicht wird eingeführt – sehr zum Missfallen von Joe Cross, dem an Asthma leidenden Sheriff des Ortes. Besonders verhasst ist ihm Bürgermeister Ted Garcia, sein Erzrivale, der ganz anders tickt als er und gerade ohne Konkurrenz für eine zweite Amtszeit kandidiert. Aus einem Impuls heraus beschliesst Joe, selbst anzutreten – als Kämpfer gegen Behörden, Bürokratie und Beamte. Seine psychisch labile Ehefrau Louise ist wenig begeistert von dieser Entscheidung. Vor allem, weil sie einst eine Affäre mit Garcia hatte. Doch der Wahlkampf nimmt Fahrt auf und Joe heizt ihn an, bis die Situation zu eskalieren droht. Einen schwarzhumorigen Corona-Western nennt Ari Aster, Spezialist für alptraumhaft-abgefahrene Komödien, seinen vierten Spielfilm, der in Cannes im Wettbewerb lief und in dem Joaquin Phoenix, Hauptdarsteller in Asters vorherigem Film «Beau Is Afraid», als Sheriff Joe Cross brilliert und Emma Stone mit unbändiger Spiellust Joes durchgeknallte Ehefrau Louise verkörpert. Ben Croll schreibt auf TheWrap: «Aster hatte schon immer ein glückliches Händchen für Konfrontationen. Dabei läuft Phoenix in neurotischer Action zu Höchstform auf und ist in dieser Gesellschaftssatire, die so unverblümt und breit gefächert wie Amerika ist, ganz in seinem Element.»

 

Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield
Grafikerin Stephanie entdeckt das Werk von John Heartfield, der als Erfinder der politischen Fotomontage gegen die Nazis kämpfte. Unversehens findet sie sich in seinem Atelier wieder, wo er sie mit auf eine Reise durch sein bewegtes Leben nimmt. Katrin Rothes ungewöhnlicher Hybrid aus Animation, biografischem Dokumentar- und Spielfilm erinnert an einen singulären Künstler.

Die Grafikerin Stephanie steckt in einer kreativen Schaffenskrise. Sie ist frustriert von den banalen Werbeaufträgen und der geringen Wertschätzung ihres Chefs. Bei einem Ausstellungsbesuch entdeckt sie die grandiosen, politisch-satirischen Fotomontagen von John Heartfield (1891–1968), Antifaschist und führender Vertreter der Berliner Dada-Bewegung, und ist begeistert. Dieser Berufskollege hatte eine Botschaft: Kunst als Waffe! Unversehens findet sie sich in seinem Atelier wieder und nimmt inspiriert Schere und Papier zur Hand. Sie gestaltet eine Trickfilmfigur von Heartfield, die sogleich lebendig wird, mit ihr spricht und sie auf eine Zeitreise durch sein bewegtes Leben mitnimmt. Von den Nazis zum Staatsfeind erklärt, beginnt Heartfields ruhelose Flucht durch Europa. Auch in der DDR gilt er als unbequem. Die mehrfach ausgezeichnete Regisseurin Katrin Rothe hat mit ihrem dokumentarischen Animationsfilm, der Spielszenen mit historischen Dokumenten und verschiedenen Tricktechniken mischt, ein unkonventionelles Porträt des Künstlers geschaffen. «Die eindringliche Erzählung überzeugt durch das Aufzeigen der wachsenden Bedrohung durch den aufkommenden Faschismus, die das Drehbuch explizit mit dem Heute in Beziehung setzt», schreibt Silvia Hallensleben in epd Film.

 

On vous croit
Alice und ihren Kindern steht ein schwerer Tag bevor. Die Mutter muss vor Gericht ihr Sorgerecht verteidigen und darf sich keinen Fehler erlauben, die traumatisierten Kinder müssen ihrem Vater gegenübertreten. Mit einem eindrucksvollen Ensemble und messerscharfen Dialogen hält das fesselnde Gerichtsdrama von der ersten bis zur letzten Minute in Atem.

Es beginnt mit einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Alice und ihrem Sohn Etienne. Der Zehnjährige weigert sich mit allen Kräften, in ein Tram einzusteigen; erst seine Schwester, die 17-jährige Lila, kann ihn zum Einlenken bewegen. Der Grund für das seltsame Verhalten des Buben: Eine Verhandlung vor dem Familiengericht um das Sorgerecht steht an. Und Etienne will seinen Vater, von dem sich Alice schon vor Jahren getrennt hat, unter gar keinen Umständen wiedersehen … Der Erstling des belgischen Regie- und Drehbuchduos Charlotte Devillers und Arnaud Dufeys, ein exemplarisch anmutender Sorgerechtsstreit um zwei Kinder, der immer quälendere Dimensionen annimmt, war eine der Entdeckungen der diesjährigen Berlinale. Die aus Filmen der Dardenne-Brüder bekannte Schauspielerin Myriem Akheddiou als Mutter ist schlicht grandios. Die Spannung, unter der sie während der Gerichtsverhandlung steht, und ihr Leid werden geradezu körperlich greifbar. Das Kammerspiel von existenzieller Intensität legt nach und nach die Geschichte der Familie offen; jedes Wort sitzt, jede Geste spricht für sich. Allan Hunter schreibt auf Screen Daily: «Das fesselnde Debüt fängt die Spannungen einer lebensverändernden Gerichtsverhandlung hervorragend ein. Fokussiert, dicht geschrieben und grossartig gespielt, ist es so nervenaufreibend wie ein hochklassiger Thriller.»

 

Ma mère, Dieu et Sylvie Vartan
Als Roland in den 1960er-Jahren mit einem Klumpfuss geboren wird, setzt seine Mutter Esther alles daran, dass er gehen und das fabelhafte Leben führen kann, das sie ihm versprochen hat. Eine witzige und berührende Dramödie nach einer wahren Geschichte voll französischer Chansons, denen Esther heilende Kräfte zuschreibt, und mit einer umwerfenden Leïla Bekhti.

Als Esther Perez im Paris der 1960er-Jahre ihr sechstes Kind zur Welt bringt, hat es zu ihrem grossen Entsetzen eine Fehlbildung am Fuss. Die Ärzte sind sich sicher, dass der kleine Roland niemals wird richtig laufen können. Doch Esther ist eine starke und sture Frau, die ihrem eigenen Kopf und vor allem ihrem Herzen folgt. Allen Ratschlägen zum Trotz verspricht sie Roland, dass er an seinem ersten Schultag auf eigenen Beinen zur Schule gehen wird. Er wird ein fabelhaftes Leben führen. Basta! Mit unerschütterlichem Optimismus setzt Esther alles daran, ihr Versprechen zu halten – selbst wenn der liebe Gott und die heilsamen Klänge französischer Chansons dabei helfen müssen … «Ma mère, Dieu et Sylvie Vartan» ist die Verfilmung der gleichnamigen Autobiografie des in Frankreich bekannten Radiomoderators und erfolgreichen Medienanwalts Roland Perez. Nach dem Tod seiner Mutter erzählte er darin erstmals von seinem Aufwachsen mit einem Klumpfuss und dem aufopferungsvollen Kampf seiner Mutter gegen die Stigmatisierung seiner Behinderung. Mit viel Humor und der umwerfenden Leïla Bekhti in der Hauptrolle gelingt dem frankokanadischen Regisseur Ken Scott ein ergreifendes Hohelied auf die Kraft der Mutterliebe, das mit zärtlichem Augenzwinkern auch die Schattenseiten einer lebenslangen Mutter-Sohn-Beziehung nicht ausklammert.

 

La Petite dernière
Die 17-jährige Muslima Fatima wächst als jüngste Tochter einer algerischen Einwandererfamilie in der Pariser Banlieue auf. Ihre Liebe zu Frauen bringt sie nicht nur mit ihrer Herkunft und ihrem Glauben in Konflikt, sondern auch mit sich selbst. In Cannes wurde der gefeierte Film gleich zweifach ausgezeichnet: mit der Queer Palm und dem Preis für die beste Darstellerin.

Die 17-jährige Fatima wächst als jüngste von drei Töchtern in einer liebevollen algerischen Einwandererfamilie in der Pariser Banlieue auf. Ihr Alltag ist vom muslimischen Glauben geprägt. Doch es fällt ihr zunehmend schwer zu verbergen, dass ihr Herz für Frauen schlägt. Als sie ein Philosophiestudium in Paris beginnt, eröffnet sich ihr eine völlig neue Welt. Sie findet Anschluss an die queere Szene, schliesst enge Freundschaften und verliebt sich leidenschaftlich in die Krankenschwester Ji-Na. Hin- und hergerissen zwischen Familientradition, Glauben und ihrem Wunsch nach Freiheit, muss sie ihren eigenen Weg finden. Mit der Verfilmung des gefeierten autobiografischen Debütromans von Fatima Daas gelingt Regisseurin Hafsia Herzi das vibrierende Porträt einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst. Mit grosser Sensibilität, aber ohne Scheu vor Tabubrüchen, verwebt sie soziale Spannungen, tradierte Überzeugungen und erwachende Sehnsüchte zu einem Werk, das von The Hollywood Reporter als «Instantklassiker des Queer Cinema» gefeiert und in Cannes mit der Queer Palm sowie dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. «In der Hauptrolle liefert Nadia Melliti einen Auftritt, der einem den Atem stocken lässt. Was für eine Entdeckung, was für ein Gesicht, welch eine intensive Ausstrahlung!», schwärmt Thomas Schultze auf The Spot.

 

Rietland
In Sven Bressers bildgewaltigem Debüt legt sich eine unheimliche Stille über ein niederländisches Dorf, als ein Bauer eine Mädchenleiche entdeckt. Der atmosphärische Thriller über Schuld, Gewalt und schwelende Abgründe wurde bereits mit den Werken von Ingmar Bergman und David Lynch verglichen und geht für die Niederlande ins Oscarrennen.

Der alte Bauer Johan lebt zurückgezogen in den Feuchtgebieten im Norden der Niederlande. Seit Jahrhunderten wird hier Schilf angebaut, das beim Bau traditioneller Reetdächer Verwendung findet. Johan gehört zu den wenigen, die dieses uralte, vom Aussterben bedrohte Handwerk noch pflegen. Das Leben des wortkargen Mannes und liebevollen Grossvaters, der regelmässig von seiner kleinen Enkelin besucht wird, steht ganz im Einklang mit der Natur und wird von den Elementen Wasser, Feuer und Erde bestimmt. Das zeigt sich bereits in der langen Eröffnungsszene des Films, in der Johan bei seiner Arbeit in den im Wind wogenden Schilffeldern zu sehen ist. Als er eines Tages auf seinem Land die Leiche einer jungen Frau findet, ergreift ihn ein unheilvolles Gefühl. Während der mysteriöse Todesfall Spannungen in der Gemeinde auslöst, ist Johan wild entschlossen, den Schuldigen zu finden. Der gefeierte Erstling von Sven Bresser, der gerade als niederländischer Beitrag für die Oscars eingereicht wurde, ist eine gelungene Mischung aus psychologischer Charakterstudie und atmosphärischem Thriller. Der Regisseur versteht es meisterhaft, ein ständiges Gefühl der Bedrohung vor heraufziehendem Unheil zu vermitteln und dabei grösstenteils von dem zu erzählen, was wir nicht sehen. Kritiker:innen vergleichen «Rietland» mit Filmen von Ingmar Bergmann oder David Lynch.

 

Hallo Betty
1956: Trotz des Widerstands ihrer Agentur erfindet Werbetexterin Emmi Creola-Maag die Kunstfigur Betty Bossi. Während die «Hausfrau der Nation» immer populärer wird, wird deren Erfinderin zwischen dem Neid der männlichen Kollegen und der Familienarbeit zunehmend aufgerieben. Sarah Spale brilliert als Emmi Creola-Maag im spannenden Biopic von Pierre Monnard.

Zürich, 1956. Die Werbetexterin und dreifache Mutter Emmi Creola-Maag ist für die Promotion einer Speiseölfirma zuständig. Bei ihrem Chef, einem alten Patriarchen, beklagt sie sich einmal: «Andere dürfen ganze Konzepte schreiben, ich aber immer nur Inserate.» Von seiner Antwort, «Du musst dir halt vielleicht auch mal eine Krawatte umbinden», lässt sie sich nicht entmutigen, sondern überrascht ihn mit einem Konzept, das ihn nach anfänglichen Vorbehalten überzeugt: Eine fiktive Werbefigur soll dabei helfen, nicht nur Speisefette besser zu vermarkten, sondern diese auch mit «gelingleichten», neuartigen Rezepten begleiten. Der Name der Figur: Betty Bossi. Die Schweizerinnen sind begeistert, doch der Erfolg hat seine Tücken. Er ruft die Missgunst der Kollegen hervor und verdoppelt die Arbeitslast der liebevollen Mutter und Ehefrau. Angelehnt an das Leben der realen Emmi Creola-Maag (1912–2006) taucht «Hallo Betty» mit exquisiten Dekors in die 1950er-Jahre ein. Mit einer grossartigen Sarah Spale in der Hauptrolle vermittelt Pierre Monnards Film eindrücklich und oft auch humorvoll, welche Widerstände eine Frau überwinden und welche Kompromisse sie eingehen musste, wenn sie sich in einer männerdominierten Welt nicht mit einer untergeordneten Stellung begnügen, sondern ihr eigenes Ding machen wollte. Damals wie heute nicht ganz einfach.

 

It Was Just an Accident
Vahid glaubt, seinen einstigen Folterer wiederzuerkennen, und entführt ihn kurzerhand. Als ihn Zweifel an dessen Identität befallen, setzt er eine Kette von Ereignissen in Gang, die zunehmend ausser Kontrolle geraten. Das grandiose, so atemberaubende wie humorige Werk des iranischen Meisters Jafar Panahi gewann in Cannes die Goldene Palme.

Der Automechaniker Vahid glaubt, in einem Kunden seinen einstigen Folterer aus dem Gefängnis zu erkennen. Er entführt den Mann in der Absicht, ihn in der Wüste lebendig zu begraben. Doch kurz vor der Tat beschleichen ihn Zweifel, weil er das Gesicht seines Peinigers nie gesehen hat. Er sucht einen ehemaligen Leidensgenossen auf, der die Identität des Entführten bestätigen soll, und setzt damit eine Kette von Ereignissen in Gang, die zunehmend ausser Kontrolle geraten … Der iranische Regisseur Jafar Panahi war 2022 inhaftiert, als er die Idee zu diesem Drehbuch hatte. Als er im Februar 2023 dank internationaler Proteste freikam, machte er sich heimlich an die Realisierung dieses atemberaubenden Thrillers, der trotz seines dramatischen Hintergrunds mit Situationskomik und schwarzem Humor brilliert und in Cannes zu Recht die Palme d’Or erhielt. Joachim Kurz schreibt auf Kino-Zeit: «Panahis emotional aufwühlende Tour de Force ist nicht ausschliesslich als Parabel auf die Zustände in seiner Heimat zu verstehen, sondern auch als Suche nach einem moralischen Kompass für die direkte Konfrontation mit den Autoritäten. Angesichts dessen, was ihm widerfahren ist, (…) ist dieser Film ein beispielloses Fanal von ungeheurem Mut und Behauptungswillen eines Regisseurs.»

 

Kinderfilme: Mary Anning – Fossilienjägerin
Die 12-jährige Mary sucht am Strand nach Fossilien. Mit ihren Fundstücken will sie ihre Familie aus der Armut befreien und das Rätsel einer geheimnisvollen Skizze lösen, die ihr verstorbener Vater ihr vererbt hat … Abenteuerlicher Animationsfilm über Mary Anning, die 1811 an der englischen Küste Fossilien entdeckte und die ersten Kapitel der Paläontologie schrieb.

Die zwölfjährige Mary ist ein neugieriges Mädchen. Am liebsten verbringt sie ihre Tage an der Küste, wo sie nach Fossilien sucht. Ihr Vater hat ihr diese Leidenschaft vermittelt, doch der ist plötzlich verschwunden und hat neben einer Familie in grosser Not eine mysteriöse Zeichnung hinterlassen. Mary ist fest entschlossen, ihre Mutter und ihren Bruder zu unterstützen. Und sie will das Geheimnis der Zeichnung lüften. Der liebevoll gestaltete, abenteuerliche Animationsfilm ist inspiriert von der wahren Geschichte der britischen Fossiliensammlerin Mary Anning, die im frühen 19. Jahrhundert eine Pionierin der Fossilienforschung war. Der zauberhafte Film begeisterte auf zahlreichen Festivals, so auch in Locarno, wo er den Locarno Kids Award gewann. Xenia Nguyen schreibt für das Fantoche Festival: «‹Mary Anning, Fossilienjägerin› ist eine lebendige Geschichte über Wissenschaft, Widerstandskraft und ein junges Mädchen, das die Welt verändert hat. Es ist das Langfilmdebüt des Schweizer Animators Marcel Barelli, der historische Fakten unterhaltsam, zugänglich und zeitgemäss umzusetzen weiss. Der Film verbindet auf geschickte Weise Humor mit feministischer Kritik und zeigt, wie wichtig Annings Fossilienentdeckungen für die Paläontologie waren, obwohl Mary aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sozialen Stellung lange Zeit aus dem wissenschaftlichen Kanon ausgeschlossen wurde.»

 

Dreamers
Isio gelingt die Flucht nach England, wo sie wegen fehlender Papiere in ein Abschiebezentrum gebracht wird. Im Gegensatz zur rebellischen Farah, in die sie sich verliebt, glaubt sie an ein gerechtes Asylsystem. Regisseurin Joy Gharoro-Akpojotor begegnet der Trostlosigkeit mit einer einfühlsamen Liebesgeschichte, dem Lebensmut ihrer Figuren und farbtrunkenen Bildern.

Die ohne Papiere in England lebende Migrantin Isio wird von der Polizei ins Abschiebezentrum Hatchworth gebracht. Als sie von anderen Insassinnen schikaniert wird, steht ihre Zimmernachbarin Farah ihr bei. Während Isio auf ein faires Asylverfahren hofft, hat Farah die Illusionen längst verloren. Zwischen den beiden Frauen kommt es zu einer zarten Annäherung. Gemeinsam beginnen sie, der unbarmherzigen Maschinerie des Einwanderungssystems zu trotzen – auch wenn ihr kleines Glück ständig von einer möglichen Abschiebung bedroht ist … Das elektrisierende, farbtrunkene Debüt von Joy Gharoro-Akpojotor liefert eine aussergewöhnliche Innensicht auf ein Abschiebezentrum. Die in Nigeria geborene, queere Regisseurin kennt das Asylsystem aus eigener Erfahrung. Der Trostlosigkeit der Situation setzt sie eine feinfühlige Liebesgeschichte und den Lebensmut ihrer Hauptfiguren entgegen. Hayley Croke schreibt auf Loud and Clear Reviews: «‹Dreamers› vermittelt eine einfühlsame Perspektive auf Menschen, über die oft eher als Statistik denn als Individuen berichtet wird. Der Film verleiht der Erfahrung von Migranten Würde und eine Differenziertheit, die derzeit dringend notwendig sind. Isio, Farah und die anderen Frauen in Hatchworth sind vielschichtige Charaktere: Wir sehen ihren Schmerz, werden aber auch Zeugen ihrer Stärke.»

 

Hawar, nos enfants bannis
Wie viele Jesidinnen wurde Ana 2014 vom IS entführt und sexuell versklavt. Sie konnte fliehen und in ihre Gemeinschaft zurückkehren. Doch diese zwang sie, ihr kleines Kind wegzugeben, das aus einer Zwangsverbindung mit einem Dschihadisten hervorging. Der Film erzählt vom Leid der Mütter und Kinder und von Anas heimlicher Reise, um ihre Tochter wiederzusehen.

2014 eroberte die Terrormiliz des IS weite Teile des Nordirak und massakrierte die Bevölkerung. Zehntausende Jesid:innen fielen diesem Genozid zum Opfer. Während die Terroristen Männer und ältere Menschen sofort ermordeten, verkauften oder verlosten sie die jungen Frauen als Sexsklavinnen an ihre Anhänger. Aus vielen dieser Zwangsverbindungen wurden Kinder geboren: die «Bastarde des IS», wie sie die jesidische Gemeinschaft inoffiziell nennt. Nachdem der IS besiegt und die versklavten Frauen befreit worden waren, wurden sie von ihren Gemeinschaften gezwungen, ihre Kinder im Stich zu lassen – Mütter und Kinder wurden erneut Opfer patriarchaler Gewalt. In dieser eindrücklichen Dokumentation bricht eine dieser Mütter das Schweigen und schildert ihren Leidensweg … Anja Jeitner schreibt im Filmbulletin: «‹Hawar, nos enfants bannis› erzählt die Geschichte dieser Kinder, die es offiziell nicht gibt, auf bestürzend direkte und gleichzeitig eindrücklich liebevolle Weise. Zusammen mit dem kurdischen Regisseur Mohammad Shaikhow hat die Nahost-Journalistin Pascale Bourgaux mit Ana eine äusserst mutige Protagonistin gefunden und in den acht Jahren Dreharbeiten ausserordentliches Durchhaltevermögen bewiesen, um den jesidischen Frauen eine Stimme zu verleihen und das kollektive Schweigen endlich zu brechen.»

 

Kinderfilme: Die kleine Weihnachtsfanfare
Wenn der Schnee alles zudeckt, wird es ganz still. Doch wenn man die Ohren spitzt, kann man den leisen Gesang des Waldes hören, die fröhlichen Rufe der Yetis oder die Fanfaren von Bären und Füchsen. Der Winter hat seine eigene Musik und mit ihr beginnt die Magie von Weihnachten … Vier zauberhafte Trickfilme entführen unsere Jüngsten in die Winterweihnachtswelt.

Ein Weihnachtsspecial für die Kleinsten bietet dieses Programm mit vier kurzen Animationsfilmen, die sich um die Feiertage drehen. Aus dem Kinderfernsehen bekannt sind die kurzen Episoden um «Die Musifanten», in denen jeweils ein Lied im Zentrum der Geschichte steht. In der 25-minütigen Weihnachtsepisode sind die Musifanten Charlie und sein Opa Günter auf der Suche nach einem Weihnachtsbaum. Doch im tief verschneiten Wald sind alle Bäume bereits vergeben. Während Opa Günter voller Vorfreude Weihnachtslieder singt und sie mit Witz musikalisch neu interpretiert, lernt Charlie die Weihnachtsrituale der Waldbewohner kennen. «In angenehmer Farbigkeit, langsamem Rhythmus und kindgerechten Dialogen, in denen auch die einzelnen weihnachtlichen Songs immer wieder eine grosse Rolle spielen, streifen Charlie und Opa Günter durch den Winterwald und begegnen immer wieder anderen Tieren, denen sie weiterhelfen oder von denen sie etwas lernen können», schreibt die Jury der deutschen Film- und Medienbewertung und vergibt das «Prädikat wertvoll» für den liebevollen Film von Meike Fehre. Die drei jeweils knapp fünfminütigen Kurzfilme «Die Melodie vom grossen Berg», «Yeti Fiesta» und «Lulu und die Wintersinfonie», die von Studierenden der École des Métiers du Cinéma d’Animation (EMCA) in Angoulême realisiert wurden, runden das Programm charmant ab.

 

Ai Weiwei's Turandot
Der Dokumentarfilm gewährt Einblick in Ai Weiweis Regiedebüt an der Oper Rom und zeigt, wie er seine künstlerische Vision und seinen Aktivismus in Puccinis Werk einfliessen lässt. Die Oper über die tyrannische Prinzessin Turandot, die ihre Bewerber mit tödlichen Rätseln prüft, spiegelt Ai Weiweis zentrale Themen von Macht, Kontrolle und Kunst wider.

«Alles ist Kunst. Alles ist Politik» – mit diesem berühmten Statement des chinesischen Ausnahmekünstlers beginnt «Ai Weiwei’s Turandot», ein Dokumentarfilm über Ai Weiweis erste Operninszenierung. «Turandot», Puccinis letzte, unvollendet gebliebene Oper, erzählt die Geschichte der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot. Jeder, der um ihre Hand anhält, muss drei Rätsel lösen oder sterben. Die berühmte Arie «Nessun dorma» gehört heute zum Standardrepertoire aller grossen Tenöre. In seinem Langfilmdebüt gibt Regisseur Maxim Derevianko, der seit 2015 für das römische Opernhaus Trailer und Streams realisiert, einen einzigartigen Einblick in Ai Weiweis Schaffensprozess und beleuchtet – anhand von Archivmaterial – auch relevante Ereignisse aus dessen Biografie. Helga-Mari Steininger schreibt im Programm des DOK.fest München: «Bekannt für seine politisch aufgeladenen Installationen sowie seine unermüdliche Kritik an Autoritäten, bringt Ai Weiwei seine Perspektive in die Welt der Oper ein. Coronakrise, Ukraine-Krieg, Proteste in Hongkong – in seiner radikalen Inszenierung dekonstruiert er die Erzählung, bricht Konventionen und nutzt die Bühne als Plattform für gesellschaftlichen Diskurs. Derevianko begleitet Ai Weiwei und das Ensemble bei der Entstehung einer bombastischen Neuinterpretation eines Klassikers.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: The Sting
Zwei Trickbetrüger im Chicago der 1930er-Jahre legen unwissentlich den Geldkurier eines Gangsterbosses herein. Als der eine ermordet wird, sucht der andere einen neuen Partner, um mit diesem einen raffinierten Rachecoup in einem fingierten Wettbüro zu inszenieren. Robert Redford und Paul Newman laufen in einem der grössten 1970er-Filmhits zu Höchstform auf.

Chicago, 1936. Der Kleinganove Johnny Hooker und der legendäre Trickbetrüger Henry Gondorff schliessen sich zusammen, um sich am skrupellosen Gangsterboss Lonnegan zu rächen, der ihren Freund Luther auf dem Gewissen hat. Mit einem raffinierten Coup wollen sie Lonnegan um eine grössere Geldsumme erleichtern. «The Sting» avancierte zu einem der erfolgreichsten Filme der 1970er-Jahre und erhielt sieben Oscars. Robert Redford wurde als bester Hauptdarsteller nominiert – seine einzige Nominierung als Schauspieler –, ging aber leer aus. 2002 wurde er mit einem Ehrenoscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Robyn Citizen schreibt für das Toronto International Film Festival: «Der vor Charme nur so strotzende Film ist ein Meisterwerk der filmischen Fingerfertigkeit. Unter der Regie von George Roy Hill und mit Paul Newman und Robert Redford in den Hauptrollen, die sich bereits in ‹Butch Cassidy and the Sundance Kid› (1969) als ideales Zweigespann bewiesen hatten, ist ‹The Sting› bis heute ein Meilenstein des Caper-Films.» Ihre TIFF-Kollegin Judith Crist ergänzt: «‹The Sting› ist pures Gold, ein Film, wie man sich ambitionierte Unterhaltung träumt. Ein Film, der ebenso schön anzusehen wie anzuhören ist – dabei scheint sich in den grossartigen Soundtrack der Piano Rags von Scott Joplin das fröhliche Lachen aller Beteiligten zu mischen, die ihre Arbeit sichtlich geniessen.»

 

I Love You, I Leave You
Für ein Konzert reist der gefeierte Musiker Dino Brandão nach Angola. Die Konfrontation mit der Heimat seines Vaters löst bei ihm eine manische Phase aus. Regisseur Moris Freiburghaus begleitet seinen Freund und zeigt die emotionale Achterbahnfahrt, die er und sein Umfeld durchleben. Ein sehr persönlicher Einblick in eine herausfordernde Krankheit.

Der Schweizer Musiker Dino Brandão reist für ein Konzert nach Angola, das Heimatland seines Vaters. Die Konfrontation mit seiner Herkunft und der eigenen Identität löst eine manische Episode bei ihm aus. Regisseur Moris Freiburghaus, den eine langjährige Freundschaft mit Dino verbindet, gelingt mit «I Love You, I Leave You» ein zutiefst persönlicher und einfühlsamer Dokumentarfilm über dessen bipolare Störung und die emotionale Achterbahnfahrt, die er und sein Umfeld gemeinsam durchleben: Was passiert, wenn der beste Freund psychisch erkrankt? Wie geht man damit um, und wie erlebt die betroffene Person selbst diesen Ausnahmezustand? Dino Brandão, international bekannt durch seine Zusammenarbeit mit Sophie Hunger und Faber, komponierte den Soundtrack zum Film. Das Regiedebüt des Zürchers Moris Freiburghaus räumte am diesjährigen Zurich Film Festival gleich zweimal ab: Es gewann den Publikumspreis und den Preis für den besten Dokumentarfilm. Die Jury lobt: «Wir haben noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Der unverblümte Blick auf psychische Erkrankungen und die unerschütterlichen Bindungen von Freundschaft und Familie haben uns dazu veranlasst, das Goldene Auge in dieser Kategorie zum ersten Mal an eine Schweizer Produktion zu vergeben.»

 

Sentimental Value
Nach Jahren der Abwesenheit sucht ein berühmter Regisseur den Kontakt zu seinen entfremdeten Töchtern und bietet der älteren eine Rolle in seinem nächsten Film an. Als diese entrüstet ablehnt und er stattdessen einen jungen Hollywoodstar engagiert, kommen schmerzhafte Erinnerungen hoch. Grandioses Familiendrama mit Stellan Skarsgård, Renate Reinsve und Elle Fanning.

Nora und Agnes staunen nicht schlecht, als ihr entfremdeter Vater Gustav nach Jahren der Abwesenheit plötzlich auf der Trauerfeier für ihre Mutter auftaucht. Der einst gefeierte Filmregisseur hatte die Familie verlassen, als die Mädchen noch klein waren. Nora ist inzwischen eine erfolgreiche, aber labile Theaterschauspielerin, während Agnes ein ruhigeres Leben mit Mann und Kind führt. Gustav hat ein neues Drehbuch für einen autobiografischen Film im Gepäck und will, dass Nora die Hauptrolle übernimmt. Doch so einfach, wie er sich das gedacht hat, lässt sich die zerrüttete Beziehung zu seinen Töchtern nicht kitten und neu beleben … Mit feinem Humor und leiser Melancholie gelingt Joachim Trier eine berührende Vater-Tochter-Geschichte und eine eindringliche Reflexion über Familie und Erinnerung, über Nähe und das bittersüsse Bedürfnis, gesehen zu werden. Auf der umjubelten Premiere in Cannes wurde er dafür mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet. Mia Pflüger lobt auf Kino-Zeit: «‹Zärtlichkeit ist der neue Punk›, sagt Joachim Trier. Und genau so fühlt sich ‹Sentimental Value› an. Radikal in seiner Verletzlichkeit, entschlossen in seiner Sanftheit. (…) Am Ende steht ‹Sentimental Value› als leise Offenbarung. Nicht bloss Nostalgie, sondern die Traurigkeit über das, was war, und die zarte Hoffnung auf das, was noch sein könnte.»

 

The Secret Agent
Der Akademiker Marcelo ist auf der Flucht. Während des Karnevals kommt er nach Recife, wo er seinen kleinen Sohn abholen will, um mit ihm das Land zu verlassen. Doch seine Verfolger sind ihm bereits auf den Fersen … Der umwerfende Wagner Moura brilliert im fesselnden, farbtrunkenen Politthriller, der während der letzten Jahre der brasilianischen Militärdiktatur spielt.

Brasilien, 1977. Marcelo, ein Akademiker Mitte vierzig, ist auf der Flucht und trifft während der Karnevalswoche in der pulsierenden Hafenstadt Recife ein, um seinen kleinen Sohn wiederzusehen. Dank eines solidarischen Netzwerks findet er Unterschlupf im Untergrund. Doch schnell wird ihm klar, dass Recife alles andere als ein sicherer Ort ist. Er fühlt sich verfolgt und erhält schon bald Morddrohungen … Mit Liebe zum Detail, eigenwilligen Charakteren und feinsinnigem Humor zeichnet Kleber Mendonça Filho ein in nostalgisch leuchtenden Farben stilisiertes Stimmungsbild der letzten Jahre des Militärregimes und entwickelt daraus einen phänomenalen Politthriller. Superstar Wagner Moura, bekannt aus der Serie «Narcos», brilliert in der Rolle des geheimnisvollen Marcelo, für die er in Cannes mit dem Preis für den besten Darsteller ausgezeichnet wurde, während Kleber Mendonça Filho den Preis für die beste Regie entgegennahm. Rüdiger Suchsland, Artechock, ist begeistert: «Mendonça lässt uns an einer spannungsgeladenen, karnevalesken Entladung teilhaben, in der der Todestrieb am Ende von der Lebenslust besiegt wird, das Weinen vom Lachen und der Hass von der Liebe.» Und Dobrila Kontić schreibt auf Kino-Zeit: «Eine von Samba-Rhythmen, illustren Nebenfiguren und originellen Einfällen getragene Erzählung über die beängstigende und unbändige Seite eines Landes im Chaos.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: The Great Gatsby
Der geheimnisvolle Jay Gatsby versucht, mit grosszügigen Partys seine einstige Liebe Daisy zurückzugewinnen, die mit dem treulosen Geldadligen Tom verheiratet ist. Jack Clayton verfilmte F. Scott Fitzgeralds legendären Roman über die Roaring Twenties mit Robert Redford und Mia Farrow und löste mit seinem Werk ein Moderevival aus.

New York in den «Roaring Twenties». Der junge Nick Carraway will sein Glück als Börsenmakler an der Wall Street versuchen und zieht nach Long Island. Der Zufall will, dass seine bescheidene Unterkunft an das mondäne Anwesen von Jay Gatsby grenzt, einem mysteriösen Unternehmer und Veranstalter ausschweifender Partys für die New Yorker High Society. Eines Tages wird auch Nick eingeladen. Schnell wird ihm klar, dass der Hausherr diesen Aufwand nur betreibt, um seine grosse Liebe Daisy – Nicks Cousine, die inzwischen verheiratet ist, – zurückzugewinnen. Bei dieser opulenten Adaption des US-amerikanischen Klassikers von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1925 führte der Brite Jack Clayton Regie, Francis Ford Coppola schrieb das Drehbuch. In der Rolle des undurchsichtigen Gatsby bricht Robert Redford mit seinem Image als amerikanischer Sonnyboy. Jay Cocks schreibt im Time Magazine, dass es Redford gut gelinge, Gatsbys innere Unruhe zu vermitteln, auch habe er ein Gespür für dessen Besessenheit. Redfords blendende Erscheinung kommt im oscarprämierten Look der 1920er-Jahre umwerfend zur Geltung – der Film löste auch ein entsprechendes Moderevival aus. Der Schriftsteller Tennessee Williams war begeistert: «Jack Clayton hat aus ‹The Great Gatsby› einen Film gemacht (…), der, meiner Meinung nach, sogar den Roman von F. Scott Fitzgerald übertrifft.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: A River Runs Through It
Die gegensätzlichen Brüder Norman und Paul wachsen als Söhne eines presbyterianischen Pfarrers auf. Während Norman Literatur studiert, versucht Paul sein Glück als Journalist und verstrickt sich in gefährliche Händel. In Robert Redfords Familienepos brillieren Tom Skerritt, Craig Sheffer und der junge Brad Pitt vor grandioser Naturkulisse.

Im idyllischen Montana des beginnenden 20. Jahrhunderts wachsen die ungleichen Brüder Norman und Paul unter der strengen, aber liebevollen Obhut ihres Vaters auf. Als Pfarrer einer presbyterianischen Kirche versucht er, seinen Söhnen neben Gottes Wort auch die Liebe zur Natur und zur Kunst des Fliegenfischens zu vermitteln. Der besonnene Norman zieht weg, um Literatur zu studieren, während der rebellische Paul in Montana sein Glück als Journalist versucht. Lange hatte sich Robert Redford um die Rechte bemüht, die autobiografische Novelle von Norman Maclean verfilmen zu dürfen. Die lyrische Sprache übersetzt Regisseur Redford in einen meditativen Erzählfluss, der auf Dramatisierung verzichtet und die philosophischen Aspekte der Geschichte betont. Kameramann Philippe Rousselot wurde für seine betörenden Bilder von der Natur und der Kunstfertigkeit des Fliegenfischens mit einem Oscar ausgezeichnet. Tom Skerritt als Pfarrer sowie Craig Sheffer und Brad Pitt als Söhne überzeugen in den Hauptrollen. «Ein behutsam und ohne Effekthascherei inszenierter Film, der in seiner verinnerlichten Erzählweise den Geist der autobiografischen Vorlage genau trifft. Eine wohltuende Abkehr vom Gros der Hollywoodproduktionen», schrieb Franz Everschor im Filmdienst und lobte den Film als «ein Meisterwerk des spirituellen Kinos».

 

Kokuho – The Master of Kabuki
Zwischen Skandalen und Ruhm, Bruderschaft und Verrat: Visuell opulent und emotional ergreifend erzählt Sang-il Lee in seinem historischen Epos die Geschichte zweier junger Kabuki-Theaterschauspieler. Der gefeierte Film beleuchtet die japanische Kunstform mit spektakulären Bildern und filmischer Finesse und brach in Japan alle Kassenrekorde.

Nagasaki, 1964: Nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters, eines Yakuza-Bosses, kommt der 14-jährige Kikuo in die Obhut des berühmten Kabuki-Schauspielers Hanjiro Hanai. In dessen gleichaltrigem Sohn Shunsuke findet er einen Freund. Hanjiro Hanai erkennt sofort Kikuos grosses Talent und nimmt ihn als weiteren Schüler neben seinem Sohn auf. Über Jahrzehnte hinweg entwickeln sich die beiden jungen Männer zu gefeierten Kabuki-Darstellern. Doch zwischen Kikuo und Shunsuke gedeiht auch Konkurrenz: Shunsuke, der vorbestimmt war, die Familientradition als grosser Kabuki-Künstler fortzusetzen, ist weit weniger ambitioniert als der Aussenseiter Kikuo, der ihm dieses Erbe streitig macht. Kabuki entstand im 17. Jahrhundert und verbindet nach strengen Regeln Schauspiel, Tanz und Musik. Die Kunstform wurde von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Regisseur Sang-il Lee erzählt eine epische Lebensgeschichte über Freundschaft, Liebe und Verrat. In berauschenden Bildern zelebriert er eine so berührende wie meisterhafte Liebeserklärung an das Kabuki-Theater. Dabei gelingt es ihm, die fremdartige, hochpoetische Bühnenkunst auch einem westlichen Publikum näherzubringen. In Japan ist «Kokuho» ein riesiger Publikumshit und mittlerweile einer der erfolgreichsten japanischen Kinofilme der Geschichte.

 

The Last Viking
Nach 15 Jahren Haft wegen eines Raubüberfalls sucht Anker seinen Bruder Manfred auf, der damals die Beute vergraben sollte. Doch dieser leidet an einer dissoziativen Identitätsstörung, hält sich für John Lennon und erinnert sich an nichts … Anders Thomas Jensens schwarze Komödie mit einem umwerfenden Mads Mikkelsen ist eine Psychotherapie der besonderen Art.

Frisch aus dem Gefängnis entlassen, wo er fünfzehn Jahre wegen eines Raubüberfalls einsass, gilt Ankers erster Besuch seinem Bruder Manfred, der damals die Beute vergraben sollte. Doch Manfred leidet seit seiner Kindheit an einer dissoziativen Identitätsstörung, hält sich mittlerweile für John Lennon und kann sich an nichts mehr erinnern. Um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, kommt Anker schliesslich auf die zündende Idee, mithilfe weiterer Psychiatriepatienten die «Beatles» wieder zusammenzuführen … Mit einem grandios aufspielenden Mads Mikkelsen als Manfred/John gelingt Regisseur Anders Thomas Jensen eine herrlich schwarzhumorige Komödie um Identitätspolitik und verdrängte Traumata – eine Psychotherapie der besonderen Art voller skurriler Figuren und irrwitziger Wendungen. Mia Pflüger schreibt auf Kino-Zeit: «Was auf dem Papier nach Parodie klingt, entfaltet auf der Leinwand eine unerwartete Schlüssigkeit. Jensen nutzt das Absurde als Prisma, in dem sich die Genres brechen: Er zwingt uns, über Situationen zu lachen, die wir normalerweise für tragisch halten würden, und konfrontiert uns im nächsten Moment mit dem Schmerz, der hinter diesen Pointen steckt. (…) Skandinavische Komödien haben seit Langem ein Gespür für Tonbrüche: absurde Prämissen, gespielt mit tödlichem Ernst, Lachen als Überlebensstrategie angesichts von Trauma.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: Out of Africa
Karen heiratet Baron Bror von Blixen und baut mit ihm eine Kaffeeplantage in Kenia auf, doch ihre Ehe ist unglücklich. Als sie den attraktiven Grosswildjäger Denys Finch Hatton kennenlernt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Sydney Pollacks legendäre Verfilmung mit Robert Redford, Meryl Streep und Klaus Maria Brandauer zählt zu den grossen Liebesepen der Filmgeschichte.

«Out of Africa» basiert auf den Memoiren der dänischen Autorin Karen Blixen und erzählt von ihrem abenteuerlichen Leben im damaligen British East Africa, dem heutigen Kenia, wo sie mit ihrem Mann, Baron Bror von Blixen, eine Kaffeeplantage betrieb. Weil Bror aber lieber seinen Jagd- und Liebesabenteuern nachgeht, sieht sich Karen gezwungen, die Farm auf eigene Faust zu bewirtschaften. Als sie den Abenteurer Denys Finch Hatton kennenlernt, wird er zu ihrem Vertrauten, auch weil er ihre Liebe zu Afrika teilt. Bald entwickelt sich zwischen den beiden eine stürmische Affäre. Sydney Pollacks Liebesepos im kolonialen Afrika der Jahre 1914 bis 1931 gewann sieben Oscars, darunter für den besten Film und die beste Regie. «Meryl Streep und Robert Redford sind Starkstrom-Stars», schrieb damals der Filmkritiker Roger Ebert. «Der Film ist grossartiges, atemraubendes Kino, an Originalschauplätzen gedreht. Ein Film, der den Mut hat, komplexe, überwältigende Emotionen zu zeigen, und die Starpower seiner Darsteller ohne Skrupel einsetzt. Sydney Pollack hat schon früher mit Redford zusammengearbeitet. (…) Er versteht den besonderen, etwas zerbrechlichen Nimbus seines Stars, der dazu neigt, sein eigenes Image übermässig zu schützen. In falschen Händen kann Redford narzisstisch wirken. Dieses Mal hat er allen Grund, narzisstisch zu sein.»

 

Stiller
Der Amerikaner James Larkin White wird bei der Einreise in die Schweiz verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, der vor Jahren verschwundene Schweizer Bildhauer Anatol Stiller zu sein. Stefan Haupt verfilmt Max Frischs legendären Roman mit einer prominenten Besetzung, darunter Albrecht Schuch, Paula Beer, Max Simonischek, Marie Leuenberger und Stefan Kurt.

Zürich, 1948: Der amerikanische Abenteurer und Höhlenforscher James Larkin White sitzt im Polizeigefängnis in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, seinen Pass gefälscht zu haben und in Wirklichkeit Anatol Stiller zu sein, ein seit sieben Jahren verschwundener Zürcher Bildhauer, der an der Ermordung eines russischen Dissidenten beteiligt gewesen sein soll. Da White auf seiner Identität beharrt und die Vorwürfe vehement zurückweist, veranlasst der Staatsanwalt eine Gegenüberstellung mit Stillers Ehefrau Julika. Doch auch sie, eine ehemalige Balletttänzerin, die wegen einer Tuberkuloseerkrankung ihre Karriere aufgeben musste, kann den Mann nach so vielen Jahren nicht zweifelsfrei identifizieren. Ein Verwirrspiel um Identität, Männerbilder und Wahrheitsfindung nimmt seinen Lauf, in das noch mehrere weitere Figuren hineingezogen werden, wie etwa die Gattin des Staatsanwalts oder Whites Verteidiger. Der Zürcher Regisseur Stefan Haupt («Zwingli») hat sich mit seiner mit Spannung erwarteten Verfilmung an eines der wichtigsten Werke Max Frischs gewagt, mit dem dem Autor 1954 der literarische Durchbruch gelang. Für sein elegant erzähltes, liebevoll ausgestattetes und virtuos die Zeitebenen wechselndes Vexierspiel hat Haupt ein schweizerisch-deutsches Starensemble aufgeboten, das seinesgleichen sucht und zu Höchstform aufläuft.

 

Des preuves d'amour
Inspiriert von eigenen Erfahrungen, skizziert Regisseurin Alice Douard in ihrem gefeierten Erstling die Hindernisse eines lesbischen Paares, das sein erstes Kind erwartet. Mit den Shooting Stars Ella Rumpf und Monia Chokri in den Hauptrollen ist ihr eine ebenso bodenständige wie beschwingte Liebesgeschichte geglückt.

Paris, 2014. Céline erwartet ihr erstes Kind – doch schwanger ist nicht sie. Ihre Frau Nadia wird in wenigen Monaten ihre gemeinsame Tochter zur Welt bringen. Die beiden Mittdreissigerinnen haben, kaum dass in Frankreich die «Ehe für alle» verabschiedet wurde, geheiratet. Doch nun legt ihnen der Staat neue Steine in den Weg. Als nicht-biologischer Elternteil muss Céline beweisen, dass sie ihrer Rolle gewachsen ist, um das Kind nach der Geburt adoptieren zu dürfen. Dafür braucht sie die schriftliche Empfehlung von 15 Personen aus dem Freundes- und Familienkreis. Während sie durch die Herausforderungen der Schwangerschaftsbegleitung und den administrativen Wahnsinn navigiert, versucht sie auch, mit ihrer eigenen Mutter Frieden zu schliessen, die als erfolgreiche Pianistin selten für sie da war. Mit Leichtigkeit und Herzlichkeit skizziert Regisseurin Alice Douard in ihrem bewegenden Erstling die Hindernisse eines lesbischen Paares angesichts der Starrheit der Ämter und gesellschaftlicher Konventionen. Mit einer grossartigen Ella Rumpf in der Hauptrolle und einer nicht minder umwerfenden Monia Chokri an ihrer Seite gelingt Douard eine beschwingte romantische Komödie voll entwaffnendem Charme. «Alice Douards Debüt steckt voller kleiner, aber feiner Liebesbeweise an die Liebe, das Leben und das Kino», schwärmt Falk Straub auf film-rezensionen.

 

Robert Redford – No Ordinary Man: Three Days of the Condor
Alle Mitglieder eines literarischen Vereins, der in Wirklichkeit für die CIA arbeitet, werden ermordet, bis auf Turner, der gerade in der Mittagspause war. Er taucht unter und versucht herauszufinden, wer den Anschlag verübt hat … Robert Redford und Faye Dunaway brillieren in Sydney Pollacks intelligentem, mitreissendem Politthriller.

Joe Turner arbeitet unter dem Codenamen «Condor» bei der American Literary Historical Society in New York. Bei dieser angeblich literaturhistorischen Gesellschaft handelt es sich jedoch in Wirklichkeit um ein geheimes CIA-Büro, das Printmedien aus der ganzen Welt analysiert. Als Turner eines Tages aus der Mittagspause in sein Büro zurückkommt, findet er alle seine Kollegen erschossen vor. Er informiert sofort das CIA-Hauptquartier, das ihn auffordert, zu einem Treffpunkt zu kommen, um ihn in Sicherheit bringen zu können … Robert Redford war Sydney Pollacks Lieblingsschauspieler. Als von seinen eigenen Leuten gehetzter CIA-Mitarbeiter brilliert er zum vierten Mal unter dessen Regie. Roger Ebert schrieb damals in der Chicago Sun Times: «Das Beängstigende an diesem mitreissenden und spannenden Thriller ist, dass er nach Watergate nur allzu glaubwürdig ist. Verschwörungen zum Mord durch Bundesbehörden fanden sich früher in obskuren Publikationen der extremen Linken. Jetzt sind es Hochglanzunterhaltungen mit Robert Redford und Faye Dunaway in den Hauptrollen. Wie schnell gewöhnen wir uns an die deprimierendsten Möglichkeiten unserer Regierung – und wie schnell kommerzialisieren wir sie. Früher spielten Hollywoodstars Cowboys und Generäle. Jetzt sind sie Abhörer, Attentäter oder Ziele.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: All the President's Men
Bob Woodward und Carl Bernstein, die zwei legendären Journalisten der Washington Post, stossen bei ihren Recherchen zur Watergate-Affäre auf eine heisse Spur, die direkt ins Weisse Haus führt. Alan J. Pakula ist mit Robert Redford und Dustin Hoffman ein Politthriller der Extraklasse und einer der legendären Journalistenfilme geglückt.

Bob Woodward und Carl Bernstein, Journalisten der Washington Post, wittern die grosse Story, als ihnen die Geschichte von den fünf Männern zu Ohren kommt, die am 1. Juni 1972 beim Einbruch in das Hauptquartier der Demokraten in Washington D.C. überrascht werden. Stück für Stück rekonstruieren sie die Indizienkette, die sie zu FBI, CIA und dem persönlichen Berater von Präsident Richard Nixon führt. Regisseur Alan J. Pakula zeichnet in seinem Thriller mit Robert Redford und Dustin Hoffman als hartnäckigem Recherche-Dream-Team minutiös die Aufdeckung des Watergate-Skandals nach, der schliesslich Nixon Kopf und Kragen kostete. Das längst zum Klassiker des Journalistenfilms avancierte cineastische Glanzstück liefert neben viel Spannung einen tiefen Einblick in die nicht immer ganz astreinen Methoden des US-amerikanischen investigativen Journalismus. Geoff Andrew schreibt im Time Out Film Guide: «Pakulas Watergate-Film ist bemerkenswert intelligent. Er funktioniert als Thriller (…) und als nahezu abstrakte Darstellung der dunklen Gänge der Korruption und der Macht. Die visuellen Arrangements sind oft ausserordentlich. Das Licht in den Redaktionsräumen der Washington Post etwa kontrastiert mit den Schatten, in denen sich der Starinformant ‹Deep Throat› verbirgt.»

 

Woolly – Schaf dir das Glück
In ihrem berührenden Dokumentarfilm begleitet die Norwegerin Rebekka Nystabakk ihre Schwester Rakel, die ihr Leben als Kulturschaffende in Oslo aufgibt, um die Schafzucht ihrer Eltern zu übernehmen. Enthusiastisch stürzt sie sich mit ihrer Partnerin Ida in das Abenteuer naturnahe Landwirtschaft. Eine zärtliche Hymne auf Achtsamkeit und eine nachhaltige Zukunft.

Der Schafzuchtbetrieb der Familie Nystabakk im Norden Norwegens geht an die nächste Generation: Rakel und ihre Frau Ida übernehmen den kleinen Hof von Rakels Eltern. Dafür geben die jungen Frauen ihre Arbeit als Kulturschaffende in Oslo auf und stürzen sich in den herausfordernden Alltag einer naturnahen, nachhaltigen Landwirtschaft. Im Wissen, dass sie noch viel zu lernen haben, gehen sie ihre neue Aufgabe mit grossem Enthusiasmus, Humor, aber auch Respekt an und sind dankbar, auf die Erfahrung der Eltern zählen zu können, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Bald kennen sie jedes Tier mit Namen, und zwischen harter Arbeit, manch bedrückendem Rückschlag und schlaflosen Nächten erleben sie auch wahrhaft magische Momente. Über zwei Jahre begleitet Regisseurin Rebekka Nystabakk ihre Schwester Rakel bei diesem Übergang und fängt ein, wie traditionelles Wissen von einer Generation auf die nächste übergeht und weiterentwickelt wird. Zwischen Lämmern, Wiesen und Wetterumschwüngen entsteht ein warmherziges, intimes Porträt von Familie, Verantwortung und dem Glück, den eigenen Weg in vertrauten Fussstapfen zu finden. Ein leiser, berührender Film über eine immer seltener werdende Art der Landwirtschaft und ein Liebesbrief – an den Hof, an die Eltern, an bezaubernd bockige Schafe und an das Leben im Takt der Natur.

 

Robert Redford – No Ordinary Man: The Way We Were
Die jüdische Kommunistin Katie verliebt sich in den 1930er-Jahren in den blonden Sportler und Schriftsteller Hubbell. Ihre stürmische Beziehung spitzt sich fatal zu, als sie in die Hexenjagd der McCarthy-Ära verstrickt werden. Robert Redford und eine elektrisierende Barbra Streisand überzeugen in Sidney Pollacks einfühlsamem Liebesmelodram.

Katie Morosky und Hubbell Gardiner begegnen sich Ende der 1930er-Jahre an einer Eliteuniversität an der Ostküste. Katie ist Jüdin und engagiert sich in der kommunistischen Studentenbewegung, Hubbell ein gutaussehender Sonnyboy aus reichem Haus, der einen hedonistischen Lebensstil pflegt. Trotz aller Gegensätze verbindet die beiden eine Leidenschaft für das Schreiben. Jahre später treffen sie sich zufällig wieder, werden ein Paar und ziehen nach Hollywood, wo Hubbell Karriere als Drehbuchautor macht. Während der McCarthy-Ära wird Katies marxistische Vergangenheit zum Problem, doch sie ist nicht bereit, ihre Ideale zu verraten. Der Film war die dritte Zusammenarbeit von Sydney Pollack und Robert Redford und erhielt sechs Oscarnominierungen, ausgezeichnet wurden der Titelsong – interpretiert von Barbra Streisand – und die Filmmusik. Alan R. Howard beschrieb Robert Redford in The Hollywood Reporter als «Fitzgerald-mässigen Helden mit eisigem, gefährlichem Charme» – eine Figur, die er ein Jahr später in «The Great Gatsby» verkörpern sollte. Zum Film meinte Howard: «Er hat den Look einer grossen Hollywood-Romanze, aber weil Regisseur Pollack der Korruption ins Gesicht blickt und diese als solche entlarvt, entpuppt sich ‹The Way We Were› als eine der unsentimentalsten Liebesgeschichten, die je verfilmt wurden.»

 

Robert Redford – No Ordinary Man: Butch Cassidy and the Sundance Kid
Nach einem missglückten Coup setzen sich Butch Cassidy und Sundance Kid mit ihrer Freundin Etta nach Bolivien ab. Nach mehreren Raubüberfällen geraten sie erneut ins Visier ihrer Verfolger. Robert Redford, Paul Newman und Katharine Ross bezaubern als charmantes Trio im mehrfach oscarprämierten, warmherzigen und witzigen Spätwestern.

Butch Cassidy und Sundance Kid bereiten einen spektakulären Überfall auf die Union-Pacific-Bahn vor. Sie wollen den Zug gleich zweimal ausrauben – eine kühne Idee. Der erste Coup verläuft glatt, doch beim zweiten Überfall wartet der Sheriff bereits im Zug auf sie. Mit Kids Freundin Etta können sie sich nach Bolivien absetzen, doch nach weiteren Raubüberfällen werden sie erneut zu Gejagten. Der postmoderne Western war ein Kassenschlager. Neuartig waren die witzigen Dialoge, die erstaunliche Gelassenheit, die Unbeschwertheit und die Poesie, mit der Regisseur George Roy Hill die Geschichte inszenierte: so etwa die Fahrradfahrt von Butch und Etta zu Burt Bacharachs oscargekröntem Titelsong Raindrops Keep Fallin’ On My Head. Oft zitiert wurde auch die berühmte Schlussszene, in der Butch und Sundance Kid todesmutig aus dem umstellten Haus stürmen und die Bewegung mittels eines «freeze frame» eingefroren wird. Rod McShane schreibt im Time Out Film Guide: «Unverschämt eskapistisch, klaut er den grössten Teil seiner Handlung (…) und viel von seinem visuellen Stil bei Peckinpahs ‹The Wild Bunch› und parodiert sogar ‹Jules et Jim›. (…) Das Drehbuch ist oft urkomisch, und Newman und Redford holen das Beste heraus, wenn sie sich Dialoggefechte liefern.»

 

Sorda
Die gehörlose Ángela und der hörende Héctor sind ein glückliches Paar. Da Héctor die Gebärdensprache beherrscht und sie Lippen liest, meistern sie den Alltag ohne Probleme. Als sie ein Kind erwarten, wissen sie nicht, ob das Baby hören wird. Aufmerksam, ungeschönt und zärtlich schildert der berührende Film die Herausforderungen einer gehörlosen Mutter.

Die gehörlose Ángela ist Künstlerin und Töpferin und lebt in einer liebevollen Ehe mit ihrem hörenden Mann Héctor, der für sie die Gebärdensprache gelernt hat. Als Ángela schwanger wird, sind die beiden überglücklich. Doch gleichzeitig wächst in ihnen die Sorge, ob ihr Kind ebenfalls gehörlos sein wird. Nachdem sich diese Ängste nach Monaten bangen Wartens als unbegründet erwiesen haben, sieht sich Ángela mit ungeahnten Problemen konfrontiert. Denn sie bekommt zu spüren, dass die Gesellschaft ihr als gehörloser Mutter jede Menge Steine in den Weg legt … Aufmerksam, ungeschönt und voller zärtlichem Verständnis erzählt Drehbuchautorin und Regisseurin Eva Libertad von der Realität einer gehörlosen Frau in einer Welt voller Hindernisse, von der Angst, aus der Welt ihres hörenden Kindes ausgeschlossen zu sein, von Respekt und Differenzen, von Liebe und Zerreissproben. Ganz aus der Perspektive ihrer beeinträchtigten Protagonistin heraus macht sie deren Schwierigkeiten in einer Welt, die von Hörenden für Hörende gemacht ist, erfahrbar – und eroberte damit nicht nur auf der Berlinale, wo sie dieses Jahr mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, die Herzen im Sturm. In der Hauptrolle brilliert Eva Libertads Schwester Miriam Garlo, die – selbst gehörlos – Inspiration für das berührende Drama war.

 

Franz K.
Prag, Anfang 20. Jahrhundert: Franz Kafka leidet unter seinem strengen Vater, dem Alltag als Versicherungsangestellter und der Sehnsucht nach künstlerischer Entfaltung. Agnieszka Hollands berückender und origineller Kafka-Film zeichnet das Porträt eines jungen Mannes, der Literaturgeschichte schreibt, sich verliebt und den Widersprüchen des Lebens begegnet.

Er war ein Versicherungsjurist, der das Schreiben und die Verantwortung als Sohn und zukünftiger Ehemann in einem konservativen Prager Elternhaus am Rande des Ersten Weltkriegs unter einen Hut bringen musste. Dabei besass er, wie keiner je zuvor, ein Talent für die Verschmelzung von Realismus und Fantasie samt brutal formulierter Verzerrungen von Bürokratien und Menschen, die in surrealen Situationen stecken oder tödliche Kämpfe ausfechten müssen – so wie er selbst gegen die Tuberkulose. Die Rede ist von Franz Kafka, dem wir anlässlich seines 100. Todestages im Juni 2024 eine Reihe gewidmet haben. Nun ist die polnische Meisterregisseurin Agnieszka Holland das Wagnis eingegangen, sich Kafka in einem essayistischen, nicht-linearen Biopic anzunähern. Mit dem 1997 geborenen, noch kaum bekannten deutschen Schauspieler Idan Weiss als Kafka pendelt der Film virtuos zwischen dem so reichen wie flüchtigen Leben des Jahrhundertliteraten und einer dokumentierten Gegenwart, in der mit seinem Namen alles Mögliche verkauft wird: von Hamburgern über Schlüsselanhänger bis zu Ostereiern – eine Wendung, die kafkaesker kaum sein könnte. Übertroffen wird diese von der Tatsache, dass das Verhältnis der von Kafka geschriebenen zu den über ihn geschriebenen Worten eins zu zehn Millionen beträgt – ein Hype, den der Film so geschickt wie elegant umschifft.

 

Robert Redford – No Ordinary Man: Ordinary People
Das Leben einer gutsituierten Familie gerät aus den Fugen, als bei einer Segelpartie der ältere Sohn ertrinkt, während der jüngere überlebt. Von Schuldgefühlen geplagt, unternimmt Conrad einen Suizidversuch … Robert Redfords einfühlsames Regiedebüt, das durch seine differenzierte Figurenzeichnung besticht, brachte ihm zwei Oscars ein.

Die wohlsituierte Familie Jarrett lebt standesgemäss in Lake Forest, einer Parksiedlung am Rande von Chicago. Doch hinter der perfekt gepflegten Fassade schwelt eine Krise, ausgelöst durch den Tod des älteren Sohnes bei einem Bootsunfall. Der jüngere hat überlebt, wird aber seitdem von Schuldgefühlen gequält. Nach einem Selbstmordversuch und einem Klinikaufenthalt kehrt er nach Hause zurück. Doch die Lebenslüge einer heilen Kleinfamilie lässt sich nach dieser Tragödie nicht mehr aufrechterhalten. Die jahrelang unter Verschluss gehaltenen Beziehungsprobleme liegen nun offen und drohen, die Familie zu entzweien. «Ordinary People», eine Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Judith Guest, war Robert Redfords Debüt als Regisseur und wurde gleich mit vier Oscars ausgezeichnet, u.a. für die beste Regie und als bester Film. Roger Ebert schrieb damals: «Jeder Charakter in diesem Film erhält die Möglichkeit, in sich selbst hineinzuschauen, die eigenen Motivationen wie auch jene der anderen zu hinterfragen und zu versuchen, den eigenen Umgang mit einer schwierigen Situation zu verbessern. (…) Man findet nicht oft Filmfiguren, die sich solchen Herausforderungen stellen, auch selten Regisseure, die dergleichen suchen. ‹Ordinary People› ist ein intelligenter, scharfsinniger und tief bewegender Film.»

 

Rebuilding
Nachdem ein Waldbrand seine Ranch zerstört hat, zieht Dusty in einen Wohnwagenpark. Langsam freundet er sich mit seinen Nachbar:innen an und findet eine neue Nähe zu seiner kleinen Tochter. Das berührende Drama um einen verlorenen Cowboy (grossartig: Josh O’Connor) erinnert in seinen stimmungsvollen Bildern an «Nomadland».

Nachdem seine Ranch durch einen Waldbrand vollständig zerstört wurde, muss der zurückhaltende Cowboy Dusty in einen provisorischen Wohnwagenpark ziehen. Im Kreis der Leidensgenoss:innen, die wie er alles verloren haben, fühlt sich der scheue Einzelgänger zunächst fremd. Doch dann erlebt er, wie Solidarität und Gemeinschaftsgeist neuen Lebensmut beflügeln können – und kommt auch seiner kleinen Tochter Callie-Rose wieder näher, die bei seiner Ex-Frau Ruby lebt und ihn nun regelmässig besucht. Inspiriert von Ereignissen aus seiner Familie gelingt Max Walker-Silverman ein überwältigend zärtliches Drama, das weniger von Verlust als vielmehr von Resilienz, Gemeinschaft und Neuanfang erzählt. In der Hauptrolle raubt einem der aufstrebende britische Schauspieler Josh O’Connor mit einer magnetischen Performance den Atem. Brian Tallerico schwärmt auf RogerEbert.com: «‹Rebuilding› ist ein nuanciertes, charaktergetriebenes Drama über einen Mann, der fast wie ein Geist wirkt und versucht, wieder zu seiner menschlichen Gestalt zurückzufinden. Es ist kein Spoiler zu sagen, dass er es schaffen wird. Das steht schon im Titel. Aber wie dieser Mann einen Weg findet, das nächste Kapitel seines Lebens aufzuschlagen, ist Stoff für grosses Kino, eine wahre Empathie-Maschine, die auf einer schauspielerischen Leistung basiert, über die ich das ganze Jahr sprechen werde.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: Il gattopardo
Die sizilianische Aristokratie zu Zeiten von Garibaldis Einigungsbestrebungen. Viscontis Meisterwerk mit Claudia Cardinale, Alain Delon und Burt Lancaster ist ein historisches und gesellschaftliches Panoramabild von faszinierender Schönheit und analytischer Schärfe. Ein Meisterwerk der Filmgeschichte und einer von Viscontis besten Filmen – ein Jahrhundertwerk.

Sizilien, 1860: Die Truppen der von Giuseppe Garibaldi geführten Aufstandsbewegung zur Einigung Italiens landen auf der Insel, um die verhasste Fremdherrschaft der Bourbonen zu beenden. Da die alten Adelsgeschlechter an Einfluss verlieren, arrangiert sich der betagte Fürst Don Fabrizio Salina nur widerwillig mit den neuen Herren. Ganz anders sein Neffe Tancredi, der sich im neuen Sizilien vorteilhaft positionieren will und deshalb Angelica, die Tochter des neureichen Bürgermeisters von Donnafugata, heiratet. Luchino Viscontis legendäres Epos über den Niedergang einer Epoche mit Burt Lancaster als Fürst Don Fabrizio, Claudia Cardinale als Angelica Sedara und Alain Delon als Tancredi gewann 1963 in Cannes die Goldene Palme und wurde wegen seiner 40-minütigen Ballszene berühmt, in der Tancredi seine Frau in die Gesellschaft einführt. Marisa Buovolo schrieb in Die Welt: «Mit dem Walzer aus ‹Il gattopardo› ist sie in die Filmgeschichte eingegangen: Umhüllt von dem blütenweissen, heute legendären Ballkleid aus Tüll und Organza tanzt die blutjunge Claudia Cardinale mit dem alternden Fürsten Salina als Angelica, fleischliche Repräsentantin der neuen bürgerlichen Klasse, die über die sterbenden, morbiden Körper der aristokratischen Damen triumphiert. In ihrer ungestümen Körperlichkeit wird sie von Visconti zu einem strahlenden Todesengel stilisiert.»

 

Sieben Tage
Als die Menschenrechtsaktivistin Maryam für eine medizinische Behandlung sieben Tage Hafturlaub erhält, steht sie vor einer schwierigen Entscheidung: zu ihrer Familie ins Exil fliehen oder bleiben? Stellvertretend für seinen iranischen Regiekollegen Mohammad Rasoulof gelingt Ali Samadi Ahadi ein fesselndes Drama, das an den Fall der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi erinnert.

Seit sechs Jahren sitzt die Menschenrechtsaktivistin Maryam im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran. Als sie für eine medizinische Behandlung sieben Tage Hafturlaub erhält, steht sie unvermittelt vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens: Ohne ihr Wissen haben ihr Bruder Nima und ihr Ehemann Behnam, der mit den Kindern Dena und Alborz im Exil in Hamburg lebt, ihre Flucht über das türkisch-iranische Grenzgebirge vorbereitet. Doch Maryam zögert: Soll sie zu ihrer Familie in die Freiheit fliehen oder ins Gefängnis zurückkehren, um ihren Kampf für Gleichberechtigung und Demokratie fortzuführen? Nach einem Drehbuch des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof, der den Film aufgrund der Repressionen in seiner Heimat nicht selbst realisieren konnte, gelingt seinem im Hamburger Exil lebenden Regiekollegen Ali Samadi Ahadi ein fesselndes Drama, das an den realen Fall der Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi erinnert. Britta Schmeis lobt in epd Film: «Voller Zärtlichkeit schafft Ali Samadi Ahadi Bilder für Maryams Zerrissenheit, Denas Enttäuschungen, Alborz’ kindliche Freude und Behnams Schwanken zwischen Verständnis und Entsetzen. So entsteht eine schmerzhafte Intensität, zu der auch das eindringliche Spiel von Vishka Asayesh beiträgt, die Maryam voller Energie und Verzweiflung verkörpert.»

 

Friday Night Club: Brokeback Mountain
Wyoming, 1963: Die jungen Cowboys Ennis und Jack lernen sich beim Schafehüten am Brokeback Mountain kennen und verlieben sich ineinander. Doch ihre stürmische Beziehung muss ein schmerzhaftes Geheimnis bleiben. Ang Lee schuf mit seinem grandiosen Spätwestern mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal eine der grossen Liebesromanzen der Filmgeschichte.

Die beiden jungen Cowboys Ennis Del Mar und Jack Twist lernen sich im Frühjahr 1963 bei der Arbeit für einen Schafzuchtbetrieb kennen. Sie haben die Aufgabe, die Herde in den Sommermonaten in der einsamen Gegend des Brokeback Mountain vor Wilderern und Kojoten zu schützen. Allmählich entwickelt sich zwischen den wortkargen Männern eine Kameradschaft – und nach einer kalten Nacht im Zelt mit viel Whisky sogar mehr … Der in jedem Genre versierte Regisseur Ang Lee («Life of Pi») gelang mit «Brokeback Mountain», basierend auf einer Kurzgeschichte von Annie Proulx, ein ergreifendes Drama um zwei Aussenseiter, grossartig verkörpert vom viel zu früh verstorbenen Heath Ledger – unvergesslich als Joker in «The Dark Knight» – und dem stets souverän agierenden Jake Gyllenhaal («The Sisters Brothers»). Der Film wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter dem Oscar für die beste Regie und dem Goldenen Löwen von Venedig für den besten Film. Roger Ebert schrieb damals: «‹Brokeback Mountain› wurde als ‹schwuler Cowboyfilm› beschrieben, was eine grobe Vereinfachung ist. Es ist die Geschichte einer Zeit und eines Ortes, an dem zwei Männer gezwungen sind, die grosse Liebe ihres Lebens zu verleugnen. Ihre Tragödie ist universell. Es könnten zwei Frauen sein oder Liebende aus unterschiedlichen religiösen oder ethnischen Gruppen – jede Art ‹verbotener› Liebe.»

 

Kinderfilme: Kleiner Strubbel auf Weltreise
Jeden Morgen bricht der kleine Strubbel zur Schule auf. Kaum ist er aus dem Haus, geht das Abenteuer schon los! Mal reist er um den halben Globus, mal taucht er in funkelnde, traumhafte Welten ein, wo es viel zu entdecken gibt und jede Menge Freunde warten. Ein zauberhaftes Trickfilmabenteuer für unsere jüngsten Besucher:innen.

Jeden Morgen wacht der kleine Strubbel gut gelaunt und unternehmungslustig auf. auf. Er schlüpft schnell in seine Kleider, frühstückt, verabschiedet sich liebevoll von seiner Mutter und verlässt das Haus, um mit geschultertem Rucksack zur Schule zu gehen. Kaum ist er aus dem Haus, geht das Abenteuer schon los! Mal reist er um die ganze Erde, mal taucht er in funkelnde, traumhafte Welten ein, wo es viel zu sehen gibt und jede Menge Freunde auf ihn warten. So entdeckt er eines Tages einen Schmetterling, den er unbedingt fotografieren will. Dann trifft er auf Piou Piou, einen Pinguin, der immer in Eile ist und ein riesiges Tempo vorgibt. Eines Tages begegnet er auf der Bühne eines chinesischen Theaters Zwillingen, die sich streiten. Fröhlich und mutig meistert der kleine Strubbel jedes Hindernis und erlebt Geschichten, die man so schnell nicht vergisst. Die belgische Comicautorin Céline Fraipont hat den kleinen Strubbel einst für ihre dreijährige Tochter ins Leben gerufen. Mittlerweile ist er ein Kinderbuch-Serienheld. 19 Bände mit seinen Abenteuern haben Pierre Bailly und Céline Fraipont veröffentlicht. Kein Wunder also, dass die bunten, fröhlichen Geschichten für Kinder im Vorschulalter nun den Weg auf die Leinwand gefunden haben. «Kleiner Strubbel auf Weltreise» umfasst sieben Kurzfilme mit seinen lustigen Abenteuern.

 

When Lightning Flashes Over the Sea
In ihrem so berührenden wie poetischen Dokumentarfilm streift Regisseurin Eva Neymann durch das vom Krieg gezeichnete Odessa und zeigt die Überlebenskunst ihrer beeindruckenden Bewohner:innen. In betörenden Bildern und tiefgründigen Gesprächen entsteht ein zärtliches Porträt der mythenumrankten Hafenstadt am Schwarzen Meer und ihrer Menschen.

Zwischen Oktober 2023 und April 2024 beobachtete die ukrainische Regisseurin Eva Neymann das Leben im vom Krieg gezeichneten Odessa. Bei ihren Streifzügen durch die Stadt und ihren Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen erlebt sie immer wieder Momente von grosser poetischer Schönheit: ein Mönch, der Joseph Brodsky zitiert und seine bescheidene Habe verteilt; eine alte Dame, die nach dem Tod ihrer Liebsten mit ihren Katzen zusammenlebt; eine Jüdin, die einst durch Glück die deutsche Verfolgung in Moldawien überlebte; eine Köchin, die von ihrer abchasischen Herkunft und ihrem Sohn erzählt, der im Krieg kämpft; ein junger Mann, der befürchtet, nach seiner Einberufung seinem in Russland lebenden Bruder an der Front gegenüberzustehen. Berückend sind die Bilder von Kameramann Saša Oreškovič: Aus dem Blick auf Odessas Menschen und Tiere – Katzen, immer wieder Katzen –, die bröckelnden Fassaden ehrwürdiger Gebäude, die von grossen Bäumen gesäumten Strassen, durch die Nacht gleitende Trams, das glitzernde Meer spricht eine grosse Zärtlichkeit für die mythenumwobene Hafenstadt am Schwarzen Meer und ihre beeindruckenden Bewohner:innen – Überlebenskünstler:innen, die von ihrem Leben, ihren Verlusten, ihren Hoffnungen und ihren Träumen erzählen.

 

Caravaggio
Geheimnis, Intrigen, Leidenschaft und Mord bestimmen das Leben des revolutionären italienischen Malers. Caravaggio gilt als einer der bedeutendsten Künstler seiner Zeit und verstarb im Alter von 38 Jahren unter ungeklärten Umständen. Der Dokumentarfilm zeigt den genialen Maler auf eine nie zuvor gesehene Weise.

Mit «Caravaggio» aus der Reihe Exhibition on Screen widmet sich ein weiterer Dokumentarfilm Leben und Werk dieser aussergewöhnlichen Künstlerpersönlichkeit. Gleich zu Beginn wird darauf hingewiesen, dass die darauffolgende Erzählung Caravaggios, verkörpert durch den britischen Schauspieler Jack Bannell, auf Quellen wie Polizei- und Prozessakten sowie frühen Biografien von Zeitgenossen beruht, da Caravaggio selbst keine Schriften hinterlassen hat. Das bewegte Leben von Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571–1610) wird in Rückblenden erzählt. Ausgehend vom Vorabend seines mysteriösen Todes folgt der Film chronologisch den Stationen seiner Biografie: von den schwierigen Anfängen bis zur steilen Karriere in Rom, wo er vom mittellosen Künstler zum bevorzugten Maler der Kardinäle aufsteigt. Obwohl etabliert und gefördert, gerät er immer wieder wegen seines cholerischen Temperaments mit dem Gesetz in Konflikt. Wegen Totschlags schliesslich aus Rom verbannt, flieht er nach Neapel, Malta und Sizilien. Der grosse Verdienst dieser Filmreihe ist es, das Publikum mit der Kamera ganz nah an die Meisterwerke heranzuführen und so einen einzigartigen Blick auf Maltechnik und Details zu gewähren. Durch die Darstellung von Jack Bannell gewinnt die Dokumentation an Lebendigkeit; sie wird durch erhellende Kommentare von Fachleuten ergänzt und bereichert.

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: La ragazza con la valigia
Nachdem Aida von einem Grafen sitzengelassen wurde, der ihr eine Filmkarriere versprochen hatte, verliebt sich dessen 16-jähriger Bruder in sie. Valerio Zurlinis ergreifendes Liebesmelodram, das zu den grossen Klassikern des italienischen Kinos zählt, zeigt Claudia Cardinale in ihrer ersten grossen Rolle. Prompt wurde sie dafür mit einem David di Donatello ausgezeichnet.

Bis vor Kurzem tingelte Aida als Sängerin einer drittklassigen Hotel-Combo an der italienischen Adria, nun ist sie unterwegs nach Parma zum Palazzo der Familie des reichen Playboys Marcello. Dieser hatte ihr zwar versprochen, ihre Karriere zu fördern, sie dann aber nach nur einer Woche sitzenlassen. In Parma trifft sie auf Marcellos jüngeren Bruder. Der schüchterne, sensible Lorenzo empfindet Mitleid mit Aida und will ihr helfen, worauf sich zwischen den beiden eine fragile Zuneigung entwickelt … Die damals 23-jährige Claudia Cardinale dominiert den Film mit ihrer Leinwandpräsenz und ihrer schauspielerischen Leistung, für die sie 1961 mit dem David di Donatello, dem bedeutendsten italienischen Filmpreis, ausgezeichnet wurde. Hans-Joachim Fetzer schreibt für das Arsenal Berlin: «Die Darstellung der Titelfigur – ihre erste grosse Rolle – gestaltete Claudia Cardinale mit einer eindrücklichen Mischung aus Sinnlichkeit, vitaler Spontaneität und einem Anflug von Melancholie zu einem aussergewöhnlichen Frauenporträt im sich wandelnden italienischen Kino der frühen 60er-Jahre. ‹La ragazza con la valigia› ist ein Hauptwerk des zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Regisseurs Valerio Zurlini: ein Film über Einsamkeit und die Unüberwindbarkeit von Klassenbarrieren.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: C'era una volta il West
Ein wortkarger Mundharmonikaspieler und ein aus der Haft entlassener Outlaw unterstützen die schöne Jill im Kampf gegen einen skrupellosen Eisenbahnunternehmer, der ihre Familie ermorden liess. Sergio Leones barocke, von Ennio Morricone kongenial vertonte Wildwestoper mit Charles Bronson, Claudia Cardinale und Henry Fonda ist ein glanzvoller Höhepunkt des Italowestern.

Die schöne Jill will nach ihrer Hochzeit mit einem verwitweten Farmer ein neues Leben beginnen. Doch als sie auf der Farm ankommt, findet sie ihn und seine Kinder tot vor. Verantwortlich für die Morde ist ein Unternehmer, der im gnadenlosen Kampf um Boden für die Eisenbahn den Killer Frank auf den Farmer angesetzt hat. Trotzig tritt Jill das Erbe ihres Mannes an. Unterstützt wird sie dabei vom Outlaw Cheyenne und einem wortkargen Mundharmonikaspieler, der jedoch eigene Ziele verfolgt. In den USA lockte das Nationalgenre kaum noch jemanden ins Kino, als Sergio Leone mit fantastischen Kamerawinkeln, der kongenialen Musik von Ennio Morricone, dreckigen, verschwitzten Antihelden sowie den wohl längsten Duellen der Filmgeschichte dem Western zur Neugeburt verhalf. Claudia Cardinale erweist sich als das eigentliche Zentrum von Leones monumentalem Werk. Ihre kämpferische, über alle Männer triumphierende Witwe Jill ist als starke, vielschichtige Frauenfigur in die Filmgeschichte eingegangen. 2007 erzählte sie in einem Interview mit der Weltwoche: «Dieses Werk gehört noch immer zu meinen Lieblingsfilmen. Schon früh mochte ich starke, rebellische Frauenrollen, und Sergio Leone schenkte mir diese charakterstarke Figur.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: Il bell'Antonio
Antonio, Sohn einer angesehenen Familie, kehrt aus Rom nach Catania zurück, wo er als unwiderstehlicher Frauenheld verehrt wird. Er heiratet die schöne Barbara, doch bald spricht sich herum, dass sie immer noch unberührt ist … Claudia Cardinale und Marcello Mastroianni glänzen in Mauro Bologninis Film, der die Italianità komödiantisch überdreht.

Nach einigen Jahren in Rom kehrt der schöne Antonio, Spross einer angesehenen Familie, in seine Heimatstadt Catania zurück, wo ihm der Ruf eines unwiderstehlichen Don Juan vorauseilt. Seine Hochzeit mit der engelsgleichen Notarstochter Barbara wird als Stadtereignis gefeiert, steht aber trotz gegenseitiger Zuneigung unter keinem guten Stern. Als sich nach einem Jahr Ehe herumspricht, dass Barbara noch immer unberührt ist, wird Antonio zum Gespött einer Gesellschaft, die männliche Potenz wie einen Fetisch verehrt … Unmittelbar nach Fellinis «La dolce vita», der Marcello Mastroianni Weltruhm und das Image des Latin Lovers einbrachte, nutzt er in «Il bell’Antonio» gekonnt die Chance, gegen dieses Image anzukämpfen, und liefert eine virtuose Vorstellung als gequälter Antonio. Während die sexuelle Impotenz in der Romanvorlage des Sizilianers Vitaliano Brancati als grotesker Spiegel des faschistischen Regimes diente, wird sie in der modernisierten Tragikomödie von Regisseur Mauro Bolognini und Drehbuchautor Pier Paolo Pasolini zur Metapher für die zerstörerische Kraft erstarrter Geschlechterrollen. Martin Schlappner schrieb anlässlich der Schweizer Premiere in der NZZ: «Auf der satirischen Ebene nimmt der Film volle komödiantische Schritte, und da er in Sizilien spielt, fehlt es natürlich nicht an Motiven und Einfällen, die Italianità komödiantisch zu überdrehen.»

 

Nacktgeld
Lilis Urlaub in den Bergen nimmt eine unerwartete Wendung, als ihre Mutter sie drängt, einen Freund der Familie um Geld zu bitten, damit der Vater nicht ins Gefängnis muss. Eine schicksalshafte Nacht, in der Lili bisherige Gewissheiten zu verlieren droht, nimmt ihren Lauf. Thomas Imbachs Verfilmung von Arthur Schnitzlers Fräulein Else ist visuell berauschend.

Die 19-jährige Lili verbringt die Sommerferien mit ihrer Tante und deren Sohn in einem Luxushotel in Sils Maria, als sie von ihrer Mutter ein Telegramm erhält: Ihr vermögender Vater hat sein ganzes Geld verspielt und braucht umgehend 30’000 Franken, ansonsten muss er ins Gefängnis. Lili soll den im Hotel anwesenden Dorsday, einen alten Freund der Familie, bitten, die Summe zur Verfügung zu stellen … Etwas mehr als ein Jahr nach seiner dokumentarischen Godard-Hommage «Say God Bye» zeigt sich der ungemein produktive Thomas Imbach erneut als einer der vielseitigsten Schweizer Regisseure, der immer wieder für Überraschungen gut ist: «Nacktgeld» ist sowohl Neuinterpretation eines genau hundert Jahre alten literarischen Stoffes – Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else – als auch ein gänzlich als Virtual Production mit 3D-Projektionen im Studio realisiertes Drama, das die neuesten technischen Möglichkeiten ausschöpft. Arabella Wintermayr schreibt auf Kino-Zeit: «Gerade in seiner Beschränkung entfaltet ‹Nacktgeld› eine enorme Sogwirkung, und Thomas Imbach gelingt das Kunststück, Schnitzlers moralisches Tableau nicht einfach nachzustellen, sondern in einen nachwirkenden Bild-Essay über Schuld, Scham und den Preis weiblicher Autonomie zu verwandeln.»

 

Autour du feu
Jacques Fasel und Daniel Bloch, ehemalige Mitglieder der bewaffneten, antikapitalistischen Westschweizer Gruppierung «Bande à Fasel», treffen an einem Lagerfeuer auf drei junge Aktivistinnen der Klimabewegung und von antirassistischen Kollektiven. Eine Nacht lang diskutieren sie über zivilen Ungehorsam und die Legitimität von Gewalt.

Zwei ältere Männer und drei junge Frauen sitzen nachts auf einer Anhöhe im Wald um ein Feuer und debattieren. Während die Männer namentlich genannt werden und ihr Gesicht zeigen, sind die Frauen maskiert und bleiben anonym. Bei den Männern handelt es sich um Jacques Fasel und Daniel Bloch. Als Mitglieder der anarchistischen Westschweizer Bande à Fasel verübten sie in den 1970er- und 1980er-Jahren Banküberfälle und verteilten ihre Beute in Robin-Hood-Manier an linke, «revolutionäre» und soziale Projekte. Mitte der 1980er-Jahre wurden sie gefasst und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Frauen sind Aktivistinnen der Klimabewegungen ZAD du Mormont, Extinction Rebellion und eines antirassistischen Kollektivs. Die Diskussionen der fünf Aktivist:innen drehen sich um Widerstand sowie um Fragen von Gewalt und deren Legitimität zur Erreichung politischer Ziele. Mathieu Loewer schreibt in Le Courrier: «Der Dokumentarfilm der beiden Genferinnen Laura Cazador und Amanda Cortés eröffnet aus historischer Perspektive eine faszinierende Debatte über Revolte, ihre Gründe, ihre Formen und ihre Folgen. Der an den Solothurner Filmtagen ausgezeichnete Dokumentarfilm bietet einen wohltuenden Raum für Reflexion – in einer Zeit, in der Aktivismus kriminalisiert wird und die extreme Rechte immer enthemmter auftritt.»

 

Father Mother Sister Brother
Jim Jarmusch erkundet in drei Geschichten die feinen Mechanismen familiärer Entfremdung und die Tatsache, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann. Der von einem mit Cate Blanchett, Vicky Krieps, Adam Driver und Tom Waits herausragenden Ensemble getragene Episodenfilm ist melancholisch, lebensklug und voller feiner Situationskomik.

Nach sechsjähriger Pause meldet sich Kultregisseur Jim Jarmusch mit drei Geschichten über verschiedene Spielarten familiärer Entfremdung zurück. In «Father» besuchen zwei Geschwister ihren Vater, der seit dem Tod der Mutter allein in seinem abgelegenen Haus im Nordwesten der USA lebt. Die drei finden kaum Gesprächsstoff und spielen sich etwas vor. Ähnlich ergeht es zwei ungleichen Schwestern in «Mother» beim jährlichen Nachmittagstee bei ihrer Mutter in Dublin. Die Zwillinge in «Brother Sister» haben ihre Eltern bei einem Flugzeugunglück verloren. In deren leerer Pariser Wohnung realisieren sie plötzlich, wie wenig sie eigentlich über ihre Eltern wissen. Jim Jarmusch, ein Meister des Episodenfilms, erzählt gewohnt lakonisch und gespickt mit feinem Wortwitz und Situationskomik. Getragen von einem umwerfenden Starensemble wurde der Film 2025 an den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Magdalena Miedl schreibt auf ORF Topos: «Im Kern steckt hier eine verheissungsvolle, verbotene Wahrheit: In den Winkeln der Lügengebäude, die Eltern und Kinder zwischen einander errichten, lauern Familienlegenden, da lauert der Übermut, womöglich der Wahnsinn oder eine glitzernde Wunderwelt – und jede Generation darf ihr Geheimnis bewahren.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: Cartouche
Der Taschendieb Cartouche steigt zum Bandenführer auf, stiehlt von den Reichen und hilft den Armen. Jean-Paul Belmondo und Claudia Cardinale brillieren im turbulenten Abenteuerfilm um die bravourösen Taten eines französischen Robin Hood. Der französische Mantel-und-Degen-Film ist «bunt, flott, witzig und sexy» (Cinema) und versprüht den Charme der Nouvelle Vague.

Paris, 18. Jahrhundert. Nach einem Abstecher zum Militär kehrt der Taschendieb Cartouche samt Regimentskasse und in Begleitung zweier neuer Freunde sowie der bezaubernden Romni Vénus in die Stadt zurück. Er übernimmt die Bande des Ganoven Malichot und gewinnt schon bald die Sympathien der Bevölkerung, weil er stets einen Teil seiner Beute, die er den Reichen abgenommen hat, an die Armen verteilt. Erfolgsverwöhnt verguckt sich der gewitzte Charmeur ausgerechnet in Madame de Ferrussac, die Gemahlin des Polizeipräfekten, und geht immer grössere Risiken ein … Philippe de Broca schuf mit «Cartouche» eine actiongeladene Mischung aus Abenteuerfilm und Komödie rund um die bravourösen Taten dieses französischen Robin Hood, der – inspiriert vom historischen Cartouche – während der Zeit der Régence in Paris sein Unwesen trieb. Der Film war einer der grössten Kassenschlager, nicht zuletzt dank seiner grossartigen Besetzung. Olivier Père schreibt für arte: «Belmondo und Claudia Cardinale bilden auf der Leinwand ein Paar von unwiderstehlicher Sinnlichkeit. Beide gehörten zu einer neuen Generation von Stars, (…) deren keck-selbstbewusste Schönheit und ungezähmtes Temperament gerade in ‹Cartouche› so richtig zum Strahlen kommen. So verleihen die exzellenten Darsteller de Brocas historischem Unterhaltungsfilm einen Hauch von Nouvelle Vague.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: Fitzcarraldo
Der Abenteurer, Fantast und Caruso-Fan Fitzcarraldo will im Amazonas-Dschungel eine Oper bauen. Einzig die Bordellbesitzerin Molly unterstützt sein wahnwitziges Unterfangen. Werner Herzogs so wuchtiges wie exzentrisches Werk mit Klaus Kinski und Claudia Cardinale hat Filmgeschichte geschrieben.

Der irische Exzentriker Fitzcarraldo ist von der Idee besessen, im peruanischen Dschungel ein Opernhaus zu bauen. Von den Ersparnissen seiner Freundin Molly kauft er einen alten Flussdampfer, mit dem er in unerschlossenem Kautschukgebiet das Geld für den Bau erwirtschaften will. Um die unpassierbaren Stromschnellen einer Flussmündung zu umgehen, entwickelt der Besessene einen atemberaubenden Plan: Hunderte von Indios sollen das Schiff über einen Hügel transportieren … «Fitzcarraldo» ist der wohl beeindruckendste Film, der aus der Zusammenarbeit zwischen Werner Herzog und Klaus Kinski hervorgegangen ist. Die Dreharbeiten in Peru wurden mit spektakulären Mitteln realisiert und glichen in vielem Fitzcarraldos grössenwahnsinnigem Unterfangen. Herzog hatte mit mannigfaltigen Schwierigkeiten zu kämpfen, nicht zuletzt mit seinem Hauptdarsteller. Claudia Cardinale erzählte 2015 in einem Interview mit der Tageswoche: «Kinski hat am ersten Tag erst einmal mit einem Taschenspiegel kontrolliert, ob er gut beleuchtet ist. Aber im Zusammenspiel war er ein grossartiger Partner. Ich habe wie Werner Herzog zuvor sicher nichts von dem Abenteuer geahnt, das da auf uns zukam. Der Film war wie die Wirklichkeit im Urwald eine gewaltige Strapaze. Nicht nur für den wütenden Klaus. Ich war eher die Friedenstaube, während des ganzen Drehs in einem weissen Kleid.»

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: The Pink Panther
Diebe wie Polizisten sind in heller Aufregung: Prinzessin Dala verbringt ihren Winterurlaub in Cortina. Sie ist Besitzerin des sagenumwobenen Pink Panther, des grössten Diamanten der Welt … Blake Edwards’ spritzig-elegante Kultkomödie mit Peter Sellers und Claudia Cardinale wurde durch den Trickfilmvorspann und die Musik von Henry Mancini weltberühmt.

Im Winterkurort Cortina d’Ampezzo herrscht grosse Aufregung: Prinzessin Dala, die hier inmitten einer illustren Gesellschaft ihren Skiurlaub verbringt, soll den berühmtesten Diamanten der Welt bei sich haben: den «Rosaroten Panther». Vor Ort ist auch Inspektor Jacques Clouseau von der Sûreté nationale, der seit Jahren dem geheimnisvollen Dieb «Das Phantom» hinterherjagt. Clouseau ist überzeugt, dass sich «Das Phantom» diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wird … Mit «The Pink Panther» stellt Blake Edwards sein Händchen für millimetergenaue Komik-Choreografie unter Beweis. Die elegante Gaunerkomödie ist der Auftakt der Inspektor-Clouseau-Reihe, die Peter Sellers’ unnachahmlicher Figur des schussligen Clouseau eine Steilvorlage bot: Grösser als sein Pflichtbewusstsein ist nur seine Tollpatschigkeit. Henry Mancini komponierte für «The Pink Panther» eine Titelmelodie für die Ewigkeit. Der Film wurde nicht zuletzt durch seinen Trickfilmvorspann berühmt, aus dem eine gleichnamige Zeichentrickserie hervorging. Für die Rolle der betuchten Dala von Lugasch hatte Edwards zunächst Audrey Hepburn im Auge, doch sie sagte ab und schlug Claudia Cardinale vor. Diese spielt die indische Prinzessin mit sichtlichem Vergnügen – mal mit majestätischer Zurückhaltung, mal mit beschwipster Lockerheit.

 

Der Mann auf dem Kirchturm
Der Grossvater des Regisseurs arbeitete als Kaminfeger in schwindelerregender Höhe. Für den Buben war er Glücksbringer und Verkörperung des starken Mannes – bis er sich im hohen Alter das Leben nahm. Edwin Beelers Familienchronik ist sowohl Sittengemälde schweizerischer Befindlichkeiten als auch Reflexion über Schweigen, Scham und unterdrückte Gefühle.

1989 erschoss sich der Grossvater des Filmemachers Edwin Beeler («Hexenkinder») im Keller seines Hauses in Oberägeri im Kanton Zug. Als Kaminfeger und Dachdecker war er im Dorf sehr angesehen, und Edwin Beeler war als Erstgeborener sein Lieblingsenkel. In den 1960er-Jahren war das Dorf seiner Grosseltern für Beeler ein Stück heile Welt; er sei immer gerne dort gewesen, erklärt Hanspeter Müller-Drossaart als Erzähler. David Meile tollt als Beelers kindliches Alter Ego glücklich auf einer Frühlingswiese herum. Später entdeckt er auf dem Dachboden alte Fotografien der Urgrosseltern. So beginnt er, sich in die Geschichte seiner Vorfahren und die Abgründe der unbegreiflichen Tat des Grossvaters zu vertiefen. Durch Gespräche mit seiner Mutter Anna Beeler-Nussbaumer, weiteren Verwandten und Zeitzeugen – etwa dem ehemaligen Bürgerratspräsidenten und dem früheren Gemeindepräsidenten von Oberägeri – lässt Edwin Beeler mit viel Geschick ein Jahrhundert Innerschweizer Sozial- und Familiengeschichte lebendig werden. Darüber hinaus evoziert er mit Objekten und Spielzeugen aus seiner Kindheit, Archivbildern, Postkarten und Ausschnitten aus Familienfilmen eine versunkene bäuerliche Welt, in der man nicht über Gefühle sprach und aus der heute ein Ghetto für Superreiche geworden ist.

 

Preisverleihung Treatment-Wettbewerb 2025: And the Winner Is …
Gesucht waren Geschichten aus unserer Gegend oder solche, die im Kanton St.Gallen spielen und sich alsbald in Filme verwandeln. Zum vierten Mal hat die kantonale Filmförderung einen Treatment-Wettbewerb ausgeschrieben und kürt nun die Preisträger:innen. Wir sind gespannt!

Bevor ein Film Kamera, Team oder einen Produktionsplan benötigt, braucht er vor allem eines: eine Idee, die trägt. Eine Geschichte, die relevant ist, überrascht, irritiert oder berührt – und das Potenzial hat, zu einem Drehbuch heranzuwachsen. Hier setzt der St.Galler Treatment-Wettbewerb an, den die kantonale Filmförderung alle zwei Jahre ausschreibt. Mit 15’000 Franken erhalten die vier Gewinner:innen eine Starthilfe, um ihre Stoffe zu entwickeln. Dass solche frühen Förderimpulse Wirkung zeigen, beweist der Wettbewerb seit Jahren. Immer wieder fussen Stoffe auf regional verankerten Ereignissen, wie etwa «Der Vegetarierkongress» von Noah Erni und Marion Täschler, der einen internationalen Vegetarierkongress aufgreift, der 1999 in Widnau stattfand – ein unscheinbarer Anlass, der sich als überraschend ergiebiger Filmstoff erweist. Mit einem Lotteriefondsbeitrag von jährlich 830’000 Franken schafft die St.Galler Filmförderung verlässliche Strukturen für Filmschaffende mit Kantonsbezug. 19 Eingaben sind nach der diesjährigen Ausschreibung eingegangen. Bei der Veranstaltung werden die vier ausgezeichneten Personen und ihre Ideen bekannt gegeben. Zudem wird der animierte Dokumentarfilm «Der Vegetarierkongress» gezeigt, und Marion Täschler und Noah Erni werden einen Einblick in die Entstehung dieses Projekts geben. Sarah Mehrmann, Geschäftsführung Filmförderung Kanton St.Gallen

 

Jeunes mères
Jessica, Perla, Julie und Ariane leben in einem Heim, das sie bei ihrer neuen Aufgabe als minderjährige Mütter unterstützt. Jede von ihnen hat eine schwierige Vergangenheit, doch sie alle kämpfen für eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. In ihrem berührenden Drama geben die Brüder Dardenne Einblick in den schwierigen Alltag von Teenagermüttern.

Jessica, Perla, Julie und Ariane leben in einem Heim für minderjährige Mütter. Sie alle haben prekäre familiäre Hintergründe und teilweise auch Erfahrungen mit Missbrauch und Drogen gemacht. Nun finden sie sich in einer völlig ungewohnten Verantwortungsrolle wieder, die sie sichtlich überfordert. Wie können sie für einen kleinen Menschen sorgen, wenn sie – selbst fast noch Kinder – vor allem mit sich selbst beschäftigt sind und nach einem Weg in eine bessere Zukunft suchen? Mit ihrem neuen Werk gelingt den Dardenne-Brüdern, die neben Ken Loach zu den bedeutendsten sozial engagierten Stimmen des europäischen Arthouse-Kinos gehören, ein berührendes und zutiefst menschliches Drama. Einfühlsam und mit sezierender Präzision erzählen sie von jungen Müttern, die ihren Kindern trotz widriger Umstände ein besseres Leben ermöglichen wollen. Thomas Schultze schreibt in The Spot: «‹Jeunes mères› geht einem an die Nieren. Weil man weiss, dass jeder Schritt nach vorn, jede Aussicht auf Hoffnung sogleich wieder zunichte gemacht werden kann. Aber es gibt diese kleinen Momente, die kleinen Triumphe, die der Film gemeinsam mit seinen Figuren feiert. (…) Auf eindringliche Weise kommt man ihnen näher, diesen jungen Müttern, die stürzen. Aber doch jedes Mal wieder aufstehen. Weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, als die Chancen, die sie nicht haben, zu nutzen.»

 

Kinderfilme: Die Zauberlaterne: The Kid
Ein Tramp findet ein ausgesetztes Baby und freundet sich mit der Vaterrolle an. Als der Junge fünf Jahre alt ist, kehrt seine Mutter zurück, die inzwischen eine berühmte Schauspielerin geworden ist. Die Stunde der Trennung scheint gekommen … Charlie Chaplins ergreifende Tragikomödie zählt zu den grossen Werken der Filmgeschichte.

Der Tramp liest in den Londoner Slums neben einigen Mülltonnen ein ausgesetztes Baby auf und findet sich zunächst widerstrebend, dann mit Hingabe in der Vaterrolle wieder. Er gibt dem Jungen den Namen John und zieht ihn gross. Gemeinsam werden sie ein unschlagbares Team. Doch als die Mutter des Jungen auftaucht, die inzwischen eine berühmte Schauspielerin geworden ist, scheint die Stunde der Trennung gekommen … «The Kid» war das Langfilmdebüt von Charles Chaplin, in dem er erstmals Komödie und Sozialdrama vereinte. Kurt Tucholsky schwärmte anlässlich der Berliner Premiere 1923 von der «hinreissenden Herzenskomik», und das Lexikon des Internationalen Films meint: «Chaplin reflektiert in ‹The Kid› die eigene Kindheit. Eine sentimentale, bittere, sozialkritische Tragikomödie, in der sich Realismus, Romantik und Phantasmagorie dank Chaplins und des kleinen Jackie Coogans unwiderstehlicher Darstellung mit Gags und Slapsticks zu einem grossen Kinovergnügen verbinden.»

 

Die Mitgliedschaft für die Zauberlaterne kann an der Kinokasse gelöst werden. Ausführliche Informationen finden Sie unter www.lanterne-magique.org/de/clubs/st-gallen/.

 

Kooperation Zeughaus Teufen: Kulisse, Ritual und das Verborgene: Drei Perspektiven auf Identität und Ort
Das vom Zeughaus Teufen kuratierte Programm präsentiert drei Filme von Kunstschaffenden: «Phallus impudicus» von Andy Storchenegger über die rätselhafte Stinkmorchel, «Diario di Roma» von Florian Bachmann über die Rolle und urbane Identität der Ewigen Stadt sowie «Silvesterchlausen» von Andrew Norman Wilson über den traditionsreichen Appenzeller Brauch.

Die gezeigten Werke entführen an Schauplätze, wo das Alltägliche auf das Mythische trifft, und stellen die Frage: Wie formt der Ort uns, und wie deuten wir ihn? Andy Storcheneggers «Phallus impudicus» (2025, 10 Min.) beginnt als intime Naturbeobachtung. Im Fokus steht die Stinkmorchel, ein flüchtiger und von Mythen umrankter Pilz. Der Film enthüllt die faszinierende Ästhetik des Verborgenen und die Schönheit des Verfalls, die viel über den Zyklus des Lebens erzählt. Florian Bachmanns «Diario di Roma» (2024, 21 Min.) führt in die Ewige Stadt. Mit poetischer Genauigkeit stellt der Regisseur die Frage, inwieweit eine Stadt wie Rom zur reinen Kulisse wird – und wir mit ihr. Der Film ist eine Meditation über die Wahrnehmung von urbaner Identität und unsere Rolle als Betrachter und Akteure. Andrew Norman Wilsons «Silvesterchlausen» (2025, 12 Min.) dokumentiert das jahrhundertealte, geheimnisvolle Appenzeller Ritual, bei dem kunstvoll maskierte Männergruppen wortlose Jodelgesänge und rhythmisches Glockengeläut anstimmen. Der Film hält fest, was ist: ein zeitloses, kulturelles Phänomen, das eine tiefe Verbundenheit mit dem Ort und seiner Tradition manifestiert. David Glanzmann, Co-Leiter Zeughaus Teufen

 

Claudia Cardinale – La ragazza, la diva, la divina: Otto e mezzo
Regisseur Guido Anselmi steckt sowohl privat als auch künstlerisch in einer Krise. Genervt von Produzenten, Ehefrau und Geliebter, sucht er verzweifelt nach Inspiration für seinen neuen Film. Fellinis Dokument einer Selbsterforschung mit Marcello Mastroianni als seinem Alter Ego gilt als eines der besten Werke der Filmgeschichte: magisch, klug, witzig.

Kurz vor Drehbeginn seines Filmprojekts steckt Regisseur Guido Anselmi in einer Krise. Von Produzenten, Ehefrau und Geliebter genervt, sucht er verzweifelt nach Inspiration für sein neues Werk. Claudia Cardinale erzählte 2007 in einem Interview mit der Weltwoche, dass «Otto e mezzo» und «Il gattopardo» gleichzeitig gedreht wurden: «Weder Fellini noch Visconti wollten auf mich verzichten, und so einigte man sich, eine Woche bei einem, eine beim anderen. Für Visconti musste ich meine Haare schwarz färben, der andere wünschte mich blond. Unterschiedlicher konnten sie nicht sein in ihrer Ausdrucksform, Vision und Präsenz. Auf Viscontis Set musste totale Ruhe und Konzentration herrschen, während es bei Fellini nicht laut und chaotisch genug zu- und hergehen konnte. (…) Ich verstand mich gut mit ihm, er bezeichnete mich als eine Art Medium mit der Gabe, in die Menschen hineinzublicken. Fellini gab mir als Erster meine tiefe, raue Stimme auf der Leinwand, die bis dahin immer synchronisiert worden war.» Michael Althen schrieb in der FAZ: «Bei Fellini war Cardinale die ideale Frau, das Traumgespinst eines Regisseurs, der ‹das sichere Gefühl hat, dass dieses Mädchen die Lösung für alles bedeuten könnte›. Und so, wie sie bei ihrem ersten Auftritt barfuss im weissen Schwesternkittel durch den Kurpark schwebt, hält man das auch durchaus für möglich.»

 

Buchvernissage und Filmvorführung: «Kino-Obsessionen. Le Corbusier, die Architektur und der Film»
Der Architekt, Filmemacher und Publizist Marcel Bächtiger feiert die Vernissage seines neuen Buches «Kino-Obsessionen. Le Corbusier, die Architektur und der Film» mit einer Lesung, einem Gespräch mit der Architekturhistorikerin Katrin Eberhard sowie der Vorführung des Dokumentarfilms «Le Corbusier» von Carlos Vilardebó (CH 1970, 50 Min.).

Mit einer Lesung und einem Gespräch stellt der Architekturhistoriker und Filmemacher Marcel Bächtiger sein neu erschienenes Buch Kino-Obsessionen. Le Corbusier, die Architektur und der Film vor. Den Bogen vom Stummfilmkino bis zu den Cinemascope-Spektakeln der 1960er-Jahre spannend, bietet Kino-Obsessionen erstmals eine biografische Recherche, die den Einfluss von Film und Kino auf das Werk des wohl wirkungsmächtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts nachzeichnet. Im dunklen Saal des Kinos trat Le Corbusier nicht nur ein inspirierendes neues Sehmodell entgegen, sondern auch eine beneidenswert massenwirksame Gefühlsmaschine, in deren Widerschein die Möglichkeiten und Grenzen der Architektur offenbar wurden. Im Anschluss an die Buchpräsentation wird der Dokumentarfilm «Le Corbusier» von Carlos Vilardebó (CH 1970, 50 Min.) gezeigt. Fünf Jahre nach dem Tod Le Corbusiers entstanden, ist die kunstvolle Film-Hommage an den Jahrhundertarchitekten erstmals wieder im Kino zu sehen – auf 35mm und mit dem bahnbrechenden Soundtrack von Iannis Xenakis, einem Mitarbeiter Le Corbusiers und Pionier der elektronischen Musik.

 

The Voice of Hind Rajab
Am 29. Januar 2024 erhalten Mitarbeitende des Roten Halbmonds einen Notruf aus Gaza: Die fünfjährige Hind ist die einzige Überlebende in einem unter Beschuss stehenden Auto. Die Helfer:innen versuchen, das Kind zu beruhigen und eine Ambulanz zu organisieren. Dem vielbeachteten Spielfilm, der ausschliesslich in der Notrufzentrale spielt, liegen die originalen Tonaufnahmen eines israelischen Kriegsverbrechens zugrunde.

Gaza-Stadt, 29. Januar 2024: Die fünfjährige Hind Rajab sitzt mit ihrem Onkel, ihrer Tante und deren drei Kindern in einem Auto, das sie vor den Kämpfen in Sicherheit bringen soll. Während der Fahrt wird das Auto beschossen, die Erwachsenen und zwei der Kinder sind sofort tot. Nur die 15-jährige Layan und Hind Rajab überleben. Layan ruft die Einsatzzentrale des palästinensischen Roten Halbmonds im über 100 Kilometer entfernten Ramallah an, bittet um Hilfe und erklärt, dass sich neben dem Auto ein Panzer befinde, aus dem geschossen werde. Noch während des Gesprächs wird auch sie von einem Schuss getötet, worauf Hind Rajab das Telefon ergreift und dreieinhalb Stunden lang mit der Einsatzzentrale in Verbindung bleibt. Die Mitarbeiter:innen versuchen verzweifelt, das verängstigte Kind zu beruhigen, und versprechen, schnellstmöglich zu Hilfe zu kommen … Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania («Les Filles d’Olfa») integriert in ihr kammerspielartiges Dokudrama, das ausschliesslich in der Einsatzzentrale spielt, 70 Minuten der Originalaufnahmen dieses schockierenden Tondokuments eines israelischen Kriegsverbrechens. Unterstützt von einem herausragenden Ensemble schafft sie einen der erschütterndsten Filme des Jahres 2025.

 

Silent Friend
Die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi verschränkt in ihrem neuen Film drei Episoden zu einem Sinnbild für die universelle Sehnsucht nach Verbundenheit von Mensch und Natur. Ein poetisches Werk über Wissenschaft und Spiritualität, Geschichte und Gegenwart, Kunst und Botanik mit Toni Leung Chiu-wai, Luna Wedler und Léa Seydoux.

Im Botanischen Garten von Marburg steht ein fast 30 Meter hoher, rund 200 Jahre alter Ginkgobaum. Er ist Titelheld sowie Dreh- und Angelpunkt im Leben dreier Menschen zu unterschiedlichen Epochen: 2020 sitzt der Hongkonger Hirnforscher Tony wegen der Pandemie in Marburg fest. Der virtuelle Austausch mit einer französischen Botanikerin inspiriert ihn zu einem ungewöhnlichen Experiment am uralten Baum; 1908 wird die hochbegabte Grete als erste Frau an der Universität aufgenommen und entdeckt verborgene Muster des Universums; 1972 erfährt der schüchterne Student Hannes eine innere Wandlung dank der Beobachtung einer Geranie. Formal kühn – die drei Geschichten sind in 35mm-, in grobkörnigem 16mm- und in glasklarem digitalem Format gefilmt – und mit hervorragenden Darsteller:innen wie Tony Leung Chiu-Wai, Luna Wedler und Léa Seydoux erzählt die ungarische Meisterregisseurin Ildikó Enyedi von den Mysterien unseres Planeten und deren Verbindungen zu den Menschen. In ähnlich traumwandlerischer Sicherheit wie in ihrem Berlinale-Gewinner «On Body and Soul» erschafft sie auch hier eine Hymne an den Einklang von Mensch und Natur, die in ihrer zauberhaften Bildsprache ihresgleichen sucht. Maria Wiesner schreibt in der FAZ: «Bei Ildikó Enyedi sind Poesie, Vernunft und Wissensdrang so fest ineinander verflochten, dass es fast zu schön ist, um wahr zu sein.»

 

Mother
Jim Jarmusch erkundet in drei Geschichten die feinen Mechanismen familiärer Entfremdung und die Tatsache, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann. Der von einem mit Cate Blanchett, Vicky Krieps, Adam Driver und Tom Waits herausragenden Ensemble getragene Episodenfilm ist melancholisch, lebensklug und voller feiner Situationskomik.

Kalkutta, 1948. Teresa ist Oberin im Konvent der Loretoschwestern. Seit über zehn Jahren wartet sie auf die päpstliche Erlaubnis, ihre eigene Ordensgemeinschaft zu gründen, um – dem Ruf Gottes folgend – den Ärmsten der Armen zu helfen. Schwester Agnieszka, mit der sie freundschaftlich verbunden ist, soll ihre Nachfolge antreten. Als alles geregelt scheint, gerät Teresa durch eine unerwartete Eröffnung Agnieszkas in einen schwerwiegenden Konflikt zwischen ihren strengen Glaubensprinzipien und menschlicher Anteilnahme. Diesen Zwiespalt inszeniert Regisseurin Teona Strugar Mitevska («God Exists, Her Name Is Petrunya») mit eigenwilliger Kamera, einem rockigen Soundtrack und der herausragenden Noomi Rapace («Millennium-Trilogie») als umstrittene Kultfigur. Aurore Engelein schreibt auf Cineuropa: «Vergessen Sie von vornherein alle Attribute, die üblicherweise mit der Figur der Heiligen in Verbindung gebracht werden. Teresa ist in erster Linie eine Frau, tapfer, willensstark, eigensinnig, liebevoll, hart, lebhaft, mehr von ihrem Ehrgeiz als von ihrem Glauben getrieben. Es ist keine Überraschung, dass die Filmemacherin, die sich gerne als glühende Bilderstürmerin zeigt, am Image der populären Heiligen rüttelt und sie dabei zu einer modernen Punk-Ikone macht, die in ihrer Kraft und Entschlossenheit aber zeitlos ist.»

 

LOK-Performance Day: Filmprogramm Elena Dahn
Das von der argentinischen Künstlerin kuratierte Filmprogramm versammelt Werke von Heidi Bucher, Trisha Brown und Elaine Summers, Rebecca Horn, Ulrike Rosenbach und weiteren Kunstschaffenden. Die Filme setzen Elena Dahns Schaffen in einen internationalen Kontext und eröffnen eine erweiterte Perspektive auf die Beziehung zwischen Performance und Objekten.

Am 24. Januar 2026 eröffnet die argentinische Künstlerin Elena Dahn den ersten LOK-Performance Day mit einer Live-Performance von 13 bis 14 Uhr in der Kunstzone. Im Zentrum stehen ihre charakteristischen Latexhäute: flexible Materialien, die als Hülle, Schutz oder körperliche Herausforderung wirken. Durch Bewegung und Spannung werden sie vom Körper aktiviert, schmiegen sich an ihn an, setzen Widerstand entgegen oder werden selbst Teil der Performance. So entstehen Bilder von Nähe, Druck, Spannung und Befreiung. Im Anschluss zeigt das Kinok ein von der Künstlerin kuratiertes Filmprogramm. Die ausgewählten Filme beschäftigen sich mit der Verbindung von Körper und Objekt, mit Tanz, Performance und der Aktivierung von Materialien vor der Kamera. Zu sehen sind unter anderem Heidi Buchers «Bodyshells», «Walking on the Wall» von Trisha Brown und Elaine Summers, ein Tanzfilm, der Raum und Schwerkraft neu verankert, sowie «Körperfächer» von Rebecca Horn und «Tanz für eine Frau» von Ulrike Rosenbach. Die Filme stehen in direktem Dialog mit Dahns eigener Arbeit, die Körper, Material und Bewegung miteinander verbindet und den Körper als Ort von Kraft, Spannung und Verwandlung zeigt. Gianni Jetzer, Direktor Kunstmuseum St.Gallen

 

Silent Rebellion
Jura, 1943: Die 15-jährige Emma lebt in einem Dörfchen im Grenzgebiet, arbeitet als Hausmädchen und will Krankenschwester werden. Als sie nach einer Vergewaltigung schwanger wird, weigert sie sich, ihre Träume aufzugeben. Regisseurin Marie-Elsa Sgualdo erzählt eine berührende Geschichte über Mut, Selbstbestimmung und die Kraft von Frauen.

Neuenburger Jura, 1943: Die 15-jährige Emma lebt mit ihrem Vater und ihren zwei kleinen Schwestern in einem Dorf nahe der französischen Grenze. Sie arbeitet als Haushaltshilfe im Haus des protestantischen Pfarrers und hat dank dessen Gattin den sogenannten Tugendpreis erhalten, mit dem sie sich eine Ausbildung zur Krankenschwester finanzieren möchte. Ihre Zukunftspläne enden jäh, als ein Fotoreporter, der eine Reportage über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze machen will, sie vergewaltigt und schwängert. Emma weigert sich, ihr Leben von den Zwängen einer bigotten und repressiven Gesellschaft bestimmen zu lassen, und sucht nach einem Ausweg … Die Regisseurin Marie-Elsa Sgualdo nennt ihr Spielfilmdebüt, das 2025 am Filmfestival Venedig seine Weltpremiere feierte, «einen Liebesbrief an die Frauen meiner Familie – und an unzählige andere –, die unsichtbare Kämpfe um Selbstbestimmung geführt haben». Beeindruckend auch die Ausdruckskraft ihrer erst 19-jährigen Hauptdarstellerin Lila Gueneau, die es meisterhaft versteht, die Emotionen ihrer Figur mit kleinsten Gesten zu vermitteln. Mit «Silent Rebellion» hat Sgualdo einen Film geschaffen, der unangestrengt und ohne Pathos ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte mit einer feministischen Ermächtigungsgeschichte vereint und den Schweizer Film um eine starke Frauenfigur bereichert.